Matinee zur Stadtgeschichte
Sonntag, 29. April 2012, 11.15 Uhr
PZ Forum, Ecke Luisenstr./Poststr.
mit dem Autor Dr. Franz Littmann
Auf dem Berg – eine Spurensuche in Würm
Eintritt frei, Spende erwünscht
Auf dem Berg – Eine Spurensuche in Würm
Vor mehr als hundert Jahren, als eine Handvoll gleichgesinnter Pforzheimer Bürger auf dem „Berg“
in Würm eine Wohnkolonie gründete, war die Sehnsucht nach Muße, nach einem naturverbundenen
Leben und einem freien, ästhetischen Lebensstil das ausschlaggebende Motiv.
Fortschrittlich und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, auf alle Fälle aber im Widerspruch zur
offiziellen Kultur des Kaiserreichs, erwarben die ersten Siedler auf dem Berg mehrere Grundstücke
auf einem von Wald umgebenen Gemarkungsstreifen.
Das angestrebte Ideal war ein anderes Leben, ein paradiesisches Dasein – wenigstens am Wochenende. Was wollten die ersten Siedler?
Schöpferische Pausen für Geist und Seele. Zeit für Familie und Freunde. Ruhe zum Denken und
zum konzentrierten Arbeiten (wie z.B. der Bildhauer Adolf Sautter). Rückzug von der Hektik des Alltags. Muße. Den Anblick von Wiesen und Bäumen. Den Blick in die Ferne und damit Erholung für die strapazierten Augen. Spaziergänge und Geselligkeit.
Im Vordergrund standen mehr oder weniger die Grundsätze der Lebensreform:
vegetarische Ernährung, Inspiration durch die Natur, die Landschaft als antizivilisatorisches Refugium.
Dr. Franz Littmann hat mit dem Buch „Auf dem Berg – eine Spurensuche in Würm“ erfolgreich den Versuch gewagt, dieses bislang weitgehend unbekannte Stück Pforzheimer Kulturgeschichte zu dokumentieren.
Es handelt sich hierbei um ein bis in die Gegenwart anhaltendes unkonventionelles, nonkonformis-
tisches Milieu. Wie man es beurteilt, hängt natürlich in einem hohen Maße vom jeweiligen Standpunkt
ab.
Was im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts für Fabrikanten und Künstler aus der Stadt
„ein Gang über raue Pfade zu den Sternen“ (per aspera ad astra) war, empfand die Würmer Dorfbevölkerung als Verirrung, als einen verrückten „Seggelstraich“.
Im Gegensatz zu den „dunklen“ Seiten der Industrialisierung (Nervosität, Alkoholismus, Prostitution, Krankheit) huldigen die Anhänger der Lebensreform dem Licht. Der Jugend, der Schönheit, der
Nacktheit. Erneuerung des Lebens, so lautete die Devise.
Durch Bewegung zum Licht, zur Sonne, zum Frühling! Tatsächlich ist so einiges von dem, was die
ersten Siedler auf dem Berg antrieb, auch im 21. Jahrhundert in Pforzheim noch lebendig.
Was aber damals eine Handvoll Außenseiter ausprobierten, klingt als Ratschlag in den Ohren von
uns heutigen vertraut. Inzwischen hört man zu, wenn es um die „Entdeckung der Langsamkeit“ geht,
um Mäßigung bei der Ernährung, um viel Bewegung an der frischen Luft, kurz und gut, um ein Leben
im Einklang mit der Natur.
Auf dem Berg: die Künstler
Tatsächlich auf dem Berg gewohnt haben folgende Künstler:
Christof Grosse, Heinrich Grosse, Max-Peter Näher, Willo Rall, Curt Rothe, Helgart Rothe,
Lore Rothe, Michaela Rothe, Adolf Sautter, Georg Seibert, Erwin Silbereisen, Richard Ziegler.
Heute wohnen auf dem Berg:
Bernd Bippes, Günter Klingler – wenn er im Land ist – und Werner Weißbrodt.
Zum musischen Klima auf dem Berg haben jedoch auch Künstler beigetragen, die mit den hier
lebenden und arbeitenden Künstlern eng befreundet waren.
Zum Beziehungsgeflecht gehören nämlich zweifellos auch die Künstler Wilhelm Dieke, Adolf Hildenbrand, Bert und Vera Joho, Georg Kleemann, Rudolph Kowarzik, Anja Römer-Hahn und Paul Speck.
Einige von ihnen sind heutzutage fast vergessen oder nur noch Experten bekannt.
Vor allem die Professoren an der Pforzheimer Kunstgewerbeschule (Hildenbrand, Joho, Kleemann,
Rothe, Sautter) waren aber Persönlichkeiten, die einmal in der Kunstszene Pforzheims Maßstäbe
setzten. Sie brachten vor und nach dem ersten Weltkrieg die Pforzheimer Kunstgewerbeschule
künstlerisch zu einer bemerkenswerten und viel beachteten Blüte.
Text mit freundlicher Genehmigung Dr. Littmann