Woche der Brüderlichkeit
Sonntag, 11. März bis Sonntag, 18. März 2012
Montag, 12. März 2012, 19.00 Uhr
Stadtkirche Pforzheim, Werktagskirche
mit Kunsthistorikerin Krisztina Jütten
Marc Chagall: der jüdisch-christliche Dialog in seiner Kunst
Die Löbliche Singergesellschaft engagiert sich im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit 2012 „Aufeinander hören – miteinander leben“ mit diesem kunsthistorischen Vortrag.
Die Verwurzelung in seiner ursprünglichen jüdischen Heimat im russischen Witebsk bedeutete für
Marc Chagall eine Fülle konkreter Erinnerungen.
Die bildhaften Legenden aus seiner Kindheit und Jugend fing er in seiner Kunst ein.
In Chagalls Bildern wird man mit jüdischen Traditionen konfrontiert, die sich zwar nie in Bildern
artikuliert hatten, sich aber in ihren Bräuchen, ihrer Religiösität und in symbolreichen Formen
sprachlicher Überlieferung äußerten.
Die aus seinen autobiographischen Erlebnissen gewonnene religiöse Ikonographie diente ihm dazu,
sich über das Bilderverbot der jüdischen Kultur hinwegzusetzen. Während sich das Judentum auf der
Grundlage des zweiten Gebotes als Schriftkultur verstand und es bis in Chagalls Familie hinein
Widerstände gegen die bildende Kunst gab, suchte Chagall eine Bildhaftigkeit zu etablieren.
Mit seinem malerischen Werk beschwor er die Bildträchtigkeit seiner jüdischen Kultur. Er machte
die chassidischen Traditionen und Gebräuche, mit denen er aufgewachsen war, bildwürdig und nahm
damit eine kulturgeschichtlich bedeutsame Umwertung vor.
Chagall war ein Künstler, der aus den Tiefen einer traditionsschweren Kultur kam, aber auch ein
Moderner, der sich von der Last dieser Tradition befreit hatte.
Die biblische Botschaft durchzieht das künstlerische Werk von Marc Chagall, ob wir an die
Bibelillustrationen seiner Radierungen und Lithographien oder an seine großformatigen Ölgemälde
und die berühmten Kirchenfenster für jüdische und christliche sakrale Räume denken. Mit seinen
Kirchenfenster für christliche Kirchen eröffnete Chagall als jüdischer Künstler einen offenen
interreligiösen Dialog.
Er ist immer ein Künstler geblieben, der nie Grenzen zwischen Religionen und Kulturen zog,
im Gegenteil, in seinem außergewöhnlichen Werk vereinen sich unterschiedliche Religionen,
Sprachen und Kulturen in einem gemeinsamen visuellen Raum.
Es war ihm wichtig, im gesamten Bibelzyklus zeitgenössische Bezüge in die biblischen Szenen
einfließen zu lassen und die komplexe Beziehung des Menschen zu Gott auf eine überzeitliche
Weise zum Ausdruck zu bringen.