Bericht und Programmablauf

Internationaler Museumstag

Sonntag, 20.Mai 2007
Stadtmuseum Pforzheim, Mueumsareal Brötzingen
11.00 und 15.00 Uhr

„Und kann ein einziger Infizierter eine ganze Stadt anstecken…“
Die Pest in Pforzheim
Szenische Lesung in zehn Stationen
Konzept: Olaf Schulze

1- in St. Martin

Begrüßung

Kristen Klein „liest“ aus ihrem Roman „Die Pfeile Gottes“

Freitag vor Pfingsten, den 28. Mai 1501
Mein geliebter Simon!

Wer es sich leisten kann, verlässt Pforzheim oder hat es schon getan. In allen Stadtteilen sind nun Fälle der Pestilenz aufgetreten, Häuser versperrt worden und Wachmänner aufgestellt.

Keiner darf mehr heraus, sobald einer erkrankt ist, ob Gesinde oder Hausherr. Manche versuchen, die Wachleute zu bestechen und bieten ihnen außer Geld allerlei wertvolle Habe an. Als ich heute morgen den Marktplatz überquerte, fiel mir ein Wohnhaus auf, vor dem letzte Woche noch ein Wachmann stand. Ich hoffte, es wäre wieder freigegeben worden und deshalb unbewacht, doch auf dem Rückweg wagte ich mich nicht vorbei. Die Leute, welche gerade herauseilten, sahen ärmlich aus, nicht wie Bewohner dieses Anwesens. Ihre Arme waren vollbepackt mit Bettlaken, unter denen sich Gegenstände abzeichneten. Aus einem Bündel ragte der Arm eines goldenen Leuchters hervor. Der Plünderer hatte mich bemerkt. Er starrte zu mir herüber, und ich fürchtete, er käme gleich auf mich zu. Vielleicht war es so – ich weiß es nicht, denn ich wich einige Schritte rückwärts und entfloh nach rechts in ein Seitengässchen, ohne mich umzuschauen. Ich stolperte über die Beine eines Toten, fiel beinahe und hastete weiter, bis ich auf St. Stephan stieß. Dann bog ich in die Predigergasse ein und atmete erst auf, als ich zu Hause anlangte.

Vater wusste mittags schon Bescheid, denn es wurde im Rat besprochen, wie man bestechliche Wachmänner zur Abschreckung bestrafen sollte. Die Schergen hatten einen Plünderer noch im Haus angetroffen. Wie in einer Schatzkammer, geblendet vom verlassenen Reichtum, bemerkte er sie erst, als sie ihn ergriffen. In der Küche fanden sie die tote Köchin, mit einem Ausdruck des Erstaunens auf dem Gesicht, als wäre der Schwarze Tod unerwartet vor ihr gestanden. Eine Hand umklammerte noch den Stiel ihres Kochlöffels. So lud Lang Peter, der Totengräber, sie auf seinen Karren, bald bedeckt von weiteren Opfern. Die Unterstützung seines Sohnes und eines vom Rat bestellten Gehilfen reicht nicht mehr aus, um genug Gräber zu schaufeln. Allmählich werden die Kirchhöfe zu eng, auch der St. Michaels. Ein Schuh Tiefe trennt die Toten in einem Grab voneinander. Säuglinge werden eng beieinander zwischen Dachziegelsteinen begraben. Woran sollen sie nur schuldig geworden sein, dass der Herr sie so bald schon wieder zu sich nimmt?
Will er ihre Eltern dadurch strafen?

Freilich muss das Leben irgendwie weitergehen und die Arbeit erledigt werden, aber die Stadt scheint in einer Art Dämmerschlaf zu liegen, weder zu wachen noch zu ruhen. Auch mich plagt oft die Ruhelosigkeit in meinem Zimmer und treibt mich nach draußen – als könnte ich etwas gegen das Elend tun, wenn ich es vor Augen habe. Erst recht fühle ich mich dann hilflos, spüre die Leblosigkeit in den Gassen, rieche ihn durch mein Essigtuch, den Schwarzen Tod, und glaube hinter den Fassaden der Häuser seine Opfer der vergangenen Nacht zu sehen.

Wie ausgebrannte Augen qualmen die Fenster ausgestorbener oder verlassener Anwesen bei der Räucherung. Stickige Wolken durchziehen die Stadt, und alles ergraut hinter ihren Schleiern, wenn sie sich ausbreiten.

Unfassbar, wie schnell das Elend um sich gegriffen hat. Die Menschen halten nicht Schritt und müssen meist unvorbereitet sterben. Ich bin in meiner Kammer von Lavendelduft umhüllt, doch der drückenden Schwüle kann ich nicht entkommen.
Gegen Ende der Lesung tauchen aus dem Chor vier in Pestschutzmänteln, Schnabelmasken und Hüten gekleidete Personen auf, die unter dem Gesang „Mitten wir im Leben sind, mit dem Tod umfangen“
durch den Mittelgang ins Freie laufen.

[Totenlied aus dem Mittelalter]

Mitten wir im Leben sind,
mit dem Tod umfangen.
Wen such’n wir, der Hilfe tu,
daß wir Gnad erlangen?
Das bist du, Herr, alleine.
Uns reuet unsre Missetat,
die dich, Herr, erzürnet hat.

Heiliger Herre Gott,
heiliger starker Gott,
heiliger barmherziger Heiland,
du ewiger Gott,
lass uns nicht versinken
in des bittern Todes Not.
Kyrieleison.

Die restlichen, köstümierten Spieler „erscheinen“ aus verschiedenen Ecken (auch Empore) im Raum, wo sie sich „versteckt“ hatten, von links aus der freigeräumten „Lateinschule“ kommt der Arzt „Johannes Widmann“, Reuchlins Arzt, der sich vorstellt und nun die Zeitreise übernimmt:
Er sagt – jetzt im Jahr 1501, sei die Pest in Pforzheim ausgebrochen und er schreibe an einem Buch,
einem Pesttraktat auf Deutsch für seine drei erwachsenen Töchter und alle Bürger der Stadt und der Landes.

Widmann lädt das Publikum ein, ihm in die Stadt zu folgen, am Ausgang der Kirche erhalten alle von
zwei kostümierten Frauen kleine in Essig getränkte Tüchlein, die sie sich vor die Nase halten sollen,
gegen die pestilenzialische Luft.

2 – Kastanienhof bei St. Martin

Drei der schwarz gewandeten lesen Passagen aus der Schwäbischen Chronik des
Martin Crusius,

1: Im Jahr 1500 ließ sich Anfang Januar gegen Mitternacht unter dem Zeichen des Steinbocks 18 Tag lang ein großer und erschrecklicher Komet sehen. Um diese Zeit lebte ein gewisser Mess-Pfaffe, Namens Iselin, welcher seinen Reliquien- und Ablass-Kram zu Altingen bei Tübingen auslegte, und unter anderem auch eine Feder aus dem Flügel des Heiligen Erz-Engels Michaelis zu haben vorgab: Als er es sich nun im dem Wirtshaus wohl sein ließ, und wacker drauf schmauste, wurden ihm bei Nacht seine Reliquien gestohlen. Morgens, da er dieses sah, war er gleich resolut und besonnen, lief in den Stall hinab, tat Heu in seine Monstranz, und sagte, dieses solle ihm jetzt an statt der Reliquien sein: und als die Wirtin, bei deren er seinen Einkehr hatte, darüber lachte, setzte er auch noch dieses hinzu: Ja ich will es dahin bringen, dass ihr diese Reliquie, ob ihr wolltet oder nicht, in öffentlicher Kirchen küssen müsset. Das soll wohl in Ewigkeit nicht geschehen, versetzte sie, und wettete gleich dessentwegen einen guten und stattlichen Schmaus mit dem Pfaffen. Als man darauf in die Kirche kam, sprach dieser Ablass-Krämer: Sehet, ihr meine lieben Christen, das ist das Heu, auf welchem unser Herr Christus zu Bethlehem lag. Dieses hat eine solche Krafft, das es die Pest von den Leuten abwenden kann, welche jetzt zu Tübingen und anderer Orten in Württemberg hin und her grassiert. Es leidet auch keine Ehebrecher, Ehebrecherinnen und Huren. Als die Leute diese Predigt hörten, liefen sie haufenweise, Männer und Weiber hinzu, das Heu zu küssen, und unter andern auch die Wirtin selbst, damit sie nicht, wenn sie wegbliebe, für eine Ehebrecherin und Hure angesehen würde. Sehet, (sagte darauf der Pfaff leis zu ihr,) ihr kommet auch, ich hab die Wette gewonnen.

2: Im Jahr 1501 ließen sich schwarze, rote, und Aschenfarbe Kreuzlein an den Kleidern der Leute sehen. Im Herzogtum Württemberg zeigten sich an einer Jungfrau die Bilder und Merkmale aller Instrumente, womit Christus geplagt und gemartert worden war, in ebendiesen Farben. Als aber ein gewisser Müllers-Knecht bei Biberach selbst solche Zeichen malte, womit er die Leute in Schrecken setzte, und noch darzu einige Göttliche Stimmen gehört zu haben fälschlich vorgab, ließ ihn Graf Andreas von Sonnenberg, nachdem sein Betrug offenbar worden, verbrennen. So sind auch zu Herrenberg solche Kreuzlein und andere Figuren an die Menschen gekommen. Das erste Kreutz daselbst sah Simon Lamparter an Jacob Duchtlers Frau, und Johann Reuters Tochter, Namens Barbara, den Tag vor der Kirchweih. Eben dieser sah auch den Tag vor Pfingsten, am 29. Mai im Jahr des Herrn 1501 an einem Mägdlein von 20 Jahren, Namens Dorothea, Cunrad Holtzen Tochter unterschiedliche Zeichen, als zum Beispiel an ihrer weißen Haube 30 gelbe Punkte oder Mähler, einen Pfennig breit, und ein graues Kreuz; an ihrem Schleyer einen langen weißen Strich, und an dem obersten Teil desselben einen Schwamm, mit einem gelben, grünen und blauen Kreutz, ebenso eine violbraune Stiege, einen gelben Hahn, an dem man die Füße und Flügel ganz deutlich sehen konnte, eine gelbe Hand, eine grüne Zange, einen grauen Nagel und gelben Hammer, mit vielen gelben, grünen und blauen Kreuzen. In eben diesem Jahr war in ganz Württemberg ein großer Frucht-Mangel, daher die nötigen Früchten von anderswoher, von Straßburg und aus dem Böhmischen Wald nach Stuttgart in großen und weiten Tüchern gebracht werden mussten. – Zu Pforzheim, Sindelfingen, Wildberg, Calw und anderen Orten grassierte die Pest.

3: Im Jahr 1502 war an den Pfingst-Feiertagen, am 15. und 16. des Monats Mai, eine solche Kälte, dass die Vögel tot von der Luft auf die Erde herunter fielen. Im Monat Juni entstand um Zürich und Bern herum ein entsetzliches Hagelwetter, in welchem die gefallene Hagelsteine größer als ein Hühner-Ei waren. In eben diesem Jahr am Sonntag Lätare, den 6. März, kam die Römisch Gnad gen Calw, dass heißt der Ablass-Krämer. Am Sonntag nach Fronleichnams-Fest, den 29. des Monats Mai, wurde zu Calw in Gegenwart des Päpstlichen Nuntius und Kardinals Raimundi, der Markgräfin Elisabetha von Brandenburg und des Abtes Blasius von Hirsau das Oster-Schauspiel von Oswald Kastenmann gespielt, nach deren Vollendung der Nuntius alles anwesende und zuschauende Volk, welches auf 10000 Personen geschätzt wurde, gesegnet, und von denen auferlegten Bussen 240 Jahr nachgelassen. – Eben daselbst starben in diesem Jahr gegen 500 Menschen an der Pest, welche damals auch zu Nördlingen, und anderer Orten hin und her grassierte. In der Stadt Stuttgart grassierte die Pest so stark, dass gegen 4000 Menschen davon aufgerafft wurden.
Danach erscheint „Philipp Sastrow“, Kanzleischreiber aus Pommern, der seine Stadtbeschreibung aus der Mitte des 16. Jahrhunderts liest:

Pforzheim ist nicht groß, hat nur eine Kirche und der Klöster drei, liegt im Tal an einer schönen lustigen Wiesen, dadurch läuft ein klares, gesundes Wasser, gibt allerlei wohlschmeckende Fische, daran man des Sommers gar gute Kurtzweil haben kann, liegt zwischen überaus hohen Bergen, die mit Holzungen, einer Wildnis nicht ungleich, bewachsen, die gutes Wildbret gibt. Das fürstliche Schloss liegt wohl niedrig, aber respectu oppidi, im Hinblick auf die Stadt, ziemlich hoch; sonst hat die Statt viel gelehrter, bescheidener, freundlicher, wohlerzogener Leute, und Alles, was man zur Notdurft des Leibes, aber auch zur Erhaltung des zeitlichen Lebens in Gesundheit und Krankheit von Nöten, an Gelehrten, Ungelehrten, Apothekern, Balbieren, Wirtshäusern, allerlei Handwerkern, nichts ausgenommen.

3 – Hof zwischen Altem Pfarrhaus und Mottenkäfig

Die Gruppe geht unter Führung von Johannes Widmann durch das Tor am Alten Pfarrhaus in den Hof beim Amphitheater, dort nehmen zwei Frauen Tücher von der Bleiche und gehen mit Ihnen zu den Seilen zwischen Altem Pfarrhaus und Mottenkäfig, an denen Tücher befestigt sind, und hängen diese auf. Die Gruppe geht weiter bis zum kleinen, offenen Anbau westlich an das Alte Pfarrhaus, dort sieht man rechts, einen stöhnenden Pestkranken auf dem Lager, einen wehklagenden Angehörigen und einen geschäftigen Wundarzt bei der Untersuchung.
Dr. Widmann spricht über die Pest als Strafe Gottes, darüber, dass ein einziger Infizierter eine ganze Stadt anstecken kann und über die Symptome der Krankheit (zwei Varianten – Beulen und Lungenpest).

1: SYMPTOMATA PESTIS
VT PLVRIMVM
LETHALIA
Böse Zufälle der Pestilenz / mehren Teils tödlich.

1. Wann die Kranken ohne Unterlass große Ohnmacht haben.
2. So sie anfangs heftig schwitzen / davon aber matt werden / kraftlos und
ihnen am Haupt ein kalter Schweiß ausbricht.
3. Wann die Kranken die Arznei wider die Pestilenz / zum andern oder
dritten mal von sich geben und würgen / und weder Speise noch Trank bei
ihnen bleiben will.
4. Wann sie ein starker Durchlauf ankömmt / und derselbe schwarz ist.
5. Wann der Harn schwarz / oder ein Farbe hat dem Bley gleich.
6. Wann sie der Krampf plaget.
7. Wann ihnen der Bauch auflauffet.
8. Wann sie groß Häuptweh empfinden / on Unterlass schlafen.
9. Wann die Beulen oder Blattern schwarz / grün / braun sind.
10. Wann sich violbraune Flecken erzeigen / und wiederum verschwinden /
oder sich erstlich Blähungen sehen lassen / und hernach wider hinweggehen.
11. Wann die Nasen dem Kranken heftig blutet.
12. Wann einem unter dem Kinn oder an anderer Stelle ein Karbunkel oder eine
brennende Blatter entspringt.

Aus diesen Zufällen kann ein Medicus wohl prognostizieren / was für ein Ausgang erfolgen / ob der Krancke sterben oder genesen werde.

(aus dem Pesttraktat des Pforzheimer Arztes Philipp Schopf, 1582)

Widmann spricht über Reuchlin, dessen Frau wohl 1502 in Stuttgart an der Pest starb (Abguss Epitaph), dessen Arzt er sei und den er lange kenne. Dem er geraten habe, Stuttgart zu verlassen und nach Denkendorf zu gehen. Sogar seine Bücher habe er lassen müssen.
Das beste Mittel, die erste Regel, aber ist [aus Widmann, 1519]:

1. … dass man sich bei Zeiten aus der vergifteten Luft tun soll und fliehen weit weg, an ein Ende, wo gesunde Luft ist und niemand an der Pest gestorben, und wann dort das Sterben auch ausbricht, soll man wieder bei Zeiten fliehen an einen anderen Ort, wo gesunde Luft ist und keine Pestilenz gewesen. Zumindest solle dort niemand in den letzten drei Monaten an der Pest gestorben sein, besser noch seit einem halben Jahr, denn erst dann ist die Luft daselbst purgieret, also gesäubert und rein von allen giftigen Dämpfen.
4 – am Tor zum Durchgang zum Hof hinterm Mottenkäfig: Stadttor

Ein Torwächter verlautbart die Zugangsbeschränkungen und Prophylaktischen Maßnahmen der Stadt (1666), ein Wundarzt examiniert das Publikum durch Augenschein und fragt, woher sie seien. Leute aus Tübingen und Stuttgart werden ausgesondert, aber nachher nach nochmaliger Ansicht auch in die Stadt gelassen.

1 (Torwärter): Unterm 21. August [1666] wurde vom Stadtrat verfügt, dass an bequemen Orten Rauchwerk von Wacholder, Forchen- und Eichenholz oder Gesträuch, auch mit Schwefel und Pulver gemacht werde. Und zwar auf dem Schlossberg, beim Marktbrunnen und vor des Obervogts Haus. Außerdem wurde beschlossen.
1. an und mit keinem verdächtigen, mit der Pest belegten Ort Handel zu treiben.
2. Keine Tiroler, Schweizer, Bayern, Stuttgarter oder Tübinger ohne Amtserlaubnis in die Stadt zu lassen.
3. Über Niemanden ohne Attestat in die Stadt zu lassen.
4. In den Häusern und auf den Gassen müsse man fleißig kehren [dies sieht man bereits im Hintergrund], auch sonst sauber haushalten.
5. die Gänse und Enten müssen man aus der Stadt tun.
6. Beherzte Leute sollen sich zur Pflege der Kranken melden.
7. An der äußeren Ziegelhütte vor der Stadt soll ein Steg errichtet werden, damit die ohne Attest Versehenen darüber gehen können und die Stadt nicht betreten müssen.
8. Es wurde ein Pesthaus bestimmt für die Kranken.
9. Alle Barbiere und Wundärzte sollen die Zahl der Patienten an den Stadtrat und den Vogt weitergeben
.
Gegeben Pforzheim, den 21. August, im Jahr des Herrn 1501, Stadtrat und Vogt der Stadt

5 – Hof hinter dem Mottenkäfig

Zwei Frauen treffen sich am zentralen Brunnen, die eine will Wasser holen, die andere hat die neue Brunnenordnung: [Brunnenordnung (15.9.1526)]

1: Hier die neue Brunnen Ordnung, soll ich sie Dir lesen? Ich les sie Dir: Von einem untergesetzten Kübel darf Niemand weglaufen,

2: heißt es

1: und den vollen muss man gleich hinwegtragen.

2: heißt es

1 (schnell, atemlos): In die Brunnenkästen darf kein Fischkorb gelegt, darin kein Tuch genetzt, kein Stockfisch, Häring, Reif, Besen, Schaub, Geschirr und dergleichen. gestoßen oder gewaschen, dabei kein Kraut, Wendel, Fenster, Kübel, Zuber, Schuh u. dgl. gewaschen und zu den Brunnen kein Feget, Wust, Mist und dergleichen getragen noch geschüttet werden.

2: heißt es

1: Auf alles Zuwiderhandeln sind angemessene Geldstrafen gesetzt.

2: So ist’s recht. Zahlen muss man auch noch. Sie nehmen’s immer von den Lebendigen. [Schmeißt etwas Verbotenes in den Brunnen, geht ab… die andere schüttelt den Kopf]

Widmann erklärt die Räucherungen auf den öffentlichen Straßen und Plätzen, wirft Wacholder ins
offene Feuer.

Nun beginnt „Oswald Gut“, der badische Kanzler, seine Mistordnung zu lesen, er sitzt hinter seinem Tisch, während er liest, kehren zwei Personen den Hof von a nach b und b nach an usf. und wiederholen das Strafmaß chorisch…

1: Ordnung Mists
Dieweilen nicht allein ein übeler Stank, sondern auch Verunreinigung halb der Luft unleidentlich, dass allenthalben in der Statt und Vorstätten die Strassen und Gassen mit Mist und anderen Unsauberkeiten bestreuet und verlegt, darinnen sich dann aller Gestank erhebt, und zudem etwa tote Katzen, Ratten, Mäuse und dergleichen schädlich und giftige Tier weggeworfen, hiermit und damit viele unverhindert zu Wagen, Ross und Fuß füglich und sauber wandeln, auch die Vergiftung der Luft so viel als möglich verhütet werde, ist nachfolgende Ordnung durch die, so von einem Rath dazu verordnet, durch mich, Herrn Oßwald Gut, der Doktor der Rechte und markgräflich badischer Kanzler vorgenommen und verfasst und bestätiget, auf Dienstag im Pfingst-Feiertag, den 27. Mai Anno 1539.
Erstlich, welcher einen eigenen Hoff oder Mistplatz hat, der soll keinen Mist auf die Gassen machen bei Strafe Fünf Schilling Pfennig, und Verlierung des Mists.
Wo die Mistung auf der Allmende zugelassen, soll doch kein Mist in- und über dem Rinnstein gemacht werden, damit die Unsauberkeit hinweg fließen kann und man ungeniert wandern möge, bei oben erwähnter Strafe.
Es soll kein Mist, so auf der Allmende liegt, über sechs Wochen darauf gestreut bleiben, ohne besondere Zulassung eines Bürgermeisters.
Es soll Niemand, wer der immer auch sei, einigen Kehricht, Müll, Asche, zerbrochene Häfen, noch etwaigen anderen Unlust und Unsauberkeit, so in Häusern, Küchen, Ställen etc. gesammelt oder ausgefegt wird, in Straßen, offenen Wegen, Gassen, Winkeln zwischen den Gebäuden, noch sonst auf die Allmende werfen, schütten, tragen oder tun lassen, sondern vor die Statt hinaus in die Gruben bei der Bleichstaffel bei Strafe von fünf Schilling Pfennig, zur Hälfte der Statt und das übrige dem Rüger oder dem, vor dessen Haus es gefunden wird.
Ebenso soll niemand etwa tote Tiere, Kadaver, Hund, Katzen, Schweine, Gänse, Hühner, Ratten, Mäuse, noch dergleichen mehr, an irgendeinen Ort in der Stadt, weder auf den Gassen, Strassen, Wegen oder Winkeln werfen noch legen oder solches zugeschehen veranlassen oder gestatten, sondern solches, was dem Wasenmeister zugehört, außerhalb der Stadt in das Wasser, doch so dass es nicht in die Statt fließen möge, werfen, bei Strafe von Zehn Schilling Pfennig, halb der Stadt und das übrig halb dem Rüger.
Es soll niemand ein Privet oder Abtritt oder Prachhaus in einen Winkel zwischen die Häuser richten richten, da zuvor nie einer gewesen ist, ohne besondere Erlaubnis des Schultheißen, des Bürgermeisters und Gerichts bei Strafe eines Pfund Pfennig, und danach noch das selbe Privat wieder zu entfernen schuldig sein.
Es sollen alle Winkel und Priveten dermaßen zugemacht und verwahrt sein und bleiben, dass kein Vieh darein kommen, noch einiger Dreck daraus rennen möge, bei Strafe Fünf Schilling Pfennig.
Und soll keine ausfließende Kloake oder Privet gefegt werden, es sei denn bei großem Regen; oder – wenn es dringend ist – bei Nacht, damit morgens kein Gestank davon bleibe, und ohne Schaden seines Nachbarn, bei Strafe von Fünf Schilling Pfennig
Gegeben, Pforzheim, den 27. Mai im Jahr des Herrn 1539, Oswald Gut, Kanzler

Johannes Widmann macht auf die Ratte aufmerksam, bevor die Gruppe durch den rechten Lapidariumtrakt, quasi in die Krankenstube, das Siechhaus des Frauenklosters geht.

Krankenpflege im Dominikanerinnenkloster St. Maria Magdalena
Widmann erläutert, dass die beste Krankenpflege bei den Nonnen im Kloster stattfinde. Im Ämterbuch des Johannes Mayer stehe alles genau auf deutsch aufgeschrieben. Dort heißt es im ersten Unterkapitel über die Krankenpflege, dass die Siechenmeisterin für ihr verantwortungsvolles Amt über besondere Qualitäten verfügen muss: sie soll sein:

geduldig, anteilnehmend, sanft und tröstend, bescheiden, vorausschauend, weder zu hartherzig noch zu gütig sollte sie sein. Sie soll auch mit großem Fleiß mit der Priorin sprechen, dass das Kloster hab ein gut gebautes und wohl ausgestattetes Siechenhaus hat, das wohl geeignet sei zur Gesuntheit und guter Luft, und dass es wohl geordnet sei, mit Stuben, Küchen und Kammern, und mit einem Garten und Bäumen versehen und anderem, was zu einem Garten gehört, der Siechen zu Trost und zur Ergötzung, zurFreude.

Er begrüßt die Schwester Untersiechenmeisterin, die Passagen aus dem Ämterbuch liest, während im Hintergrund zwei Kranke in einem Bett von zwei Nonnen, der Siechenmeisterin und der Siechendienerin gepflegt werden.

1: Die Siechenmeisterin [dreht sich um und begrüßt das Publikum durch ein freundliches Nicken] hat die Leitung über das Siechenhaus inne und dafür zu sorgen, dass die notwendigen Ausstattungsgegenstände, Schränke, Betten und Geschirr stets ausreichend vorhanden und in sauberem Zustand sind und dass die Kranken ihrer Krankheit entsprechend betreut werden.

Ytem, das sie auch haben Bettzeug für die Siechen, und was zu solchen Sachen not ist.
Ytem Stühle und Sessel und auch solches Geschirr, mit dem man die Toten wäscht.
Ytem, dass dort sei eine Kapelle oder ein Bethäuslein, wo die siechen ihr Gebete sprechen, wenn sie in die Kirche aufgrund ihrer Krankheit nicht kommen können.
Ytem, dass sie auch habe zu Trost und Besserung der Siechen einige andächtige Bücher, wie die Kirchenväter und Heiligenviten, so das Leben der Heiligen Elisabeth von Thüringen, die ihre Krone abgab und Kranke pflegte, und dass sie auch ein Buch über die Kunst des wohl Sterbens, ein Ars moriendi Buch, haben, und ähnliche Bücher, die den Kranken zu Geduld und Gelassenheit und auch der Seelen Heil förderlich sind.

Die täglich anfallenden Aufgaben der Siechmeisterin schildert das zweite Unterkapitel: Sie soll dafür sorgen, dass die Kranken täglich essen und ihre Arznei zur festgelegten Zeit bekommen. Sie hat alle Ausgaben und Einnahmen zur Zeit der Rechnungslegung der Verwalterin und dem gesamten Konvent vorzulegen. Neben dieser sicher aufwendigen Verwaltungsaufgabe steht die häufig durchgeführte Visite der Kranken und der Kontrollgang durch die einzelnen Bereiche des Siechenhauses, um dort nach der rechten Ordnung zu sehen oder diese, falls nicht mehr vorhanden, wiederherzustellen. Dabei soll sie den anderen Schwestern und den Dienerinnen mit Lob, Tadel und Trost zur Seite stehen.

Insgesamt soll die Siechenmeisterin – „ein tapfer und wolbegabet Mensch“ – ein Vorbild für Kranke und das Pflegepersonal sein. Für den Fall, dass eine Mitschwester, eine Nonne erkrankt, soll die Siechmeisterin sich dieser besonders annehmen, ihr ein eigenes Bett in einem eigenen Zimmer und eine besondere Dienerin zuweisen.

Der Siechmeisterin ist die Untersiechmeisterin beigeordnet, die die eigentliche Pflege und Versorgung der kranken Mitschwestern zu organisieren hat. Allabendlich spricht sie mit der Siechmeisterin den Speiseplan für den nächsten Tag durch und vermeldet den Zustand und die Anzahl der Kranken. Zu ihren besonderen Aufgaben gehört die Vorbereitung und Leitung der Mahlzeiten für diejenigen Kranken, die ein gemeinsames Mahl einnehmen können: und wenn es Essens Zeit ist, und alle Ding bereit sind, so soll sie läuten das Glöcklein, das in dem Siechenhaus an einer geeigneten Stelle hängen soll, dass die, die essen sollen und können in dem Siechenhaus an dem gemeinsamen Tisch zusammen kommen, und so sie zusammengekommen sind, so soll sie ein Zeichen geben, dass sie sich die Hände waschen vor dem Mahl. Ebenso ist sie Vorbeterin und Vorleserin bei Tisch. Sie soll sich auch um die Weiterverwendung der Speisereste kümmern und denjenigen unter dem Pflegepersonal Arbeit beschaffen, die Gefahr laufen, unnütz herumzusitzen. Die Siechendienerin [dreht sich kurz um und nickt ebenfalls] schließlich übernimmt die Einzelpflege Bettlägeriger und Schwerstkranker, im Notfall rund um die Uhr. Sie wird von der Priorin und der Siechmeisterin einem Kranken zugewiesen. Sie macht die Betten, sorgt dafür, dass der Kranke warm liegt, für die Sauberkeit des Raumes und die Individualhygiene. So setzt sie den Kranken auf den Stuhl oder bietet ihm das „Harngerschirr“ und bewahrt den Inhalt auf, um den Urin dem Arzt zeigen zu können, der aus der Stadt kommt, denn das Kloster hat keinen eigenen [Die Siechendienerin kommt an ein Fenster und zeigt Widmann ein Gefäß mit Harn = Apfelschorle!].

Zusammen mit der Siechmeisterin hat sich die Siechendienerin die Diagnose des Arztes zu merken und seine Therapievorschläge genau einzuhalten. Sie sorgt auch für die geistliche Betreuung des Schwerstkranken, durch Vorbeten und Vorlesen, was ihr gelegentlich, wenn sie nicht gut lesen kann oder keine Zeit hat, von einer „geeigneteren“ Schwester oder gar der Priorin abgenommen wird. Und wenn das Evangelium ausgelesen ist, so soll diejenige, die es gelesen hat, das Buch mit Andacht küssen und danach dem Siechen geben, es zu küssen und sprechen: „Durch der Wort willen dieses heiligen evangelium vergebe uns all unsere Sünde und Missetat. Und der Siech und die do gegenwärtig sind, sollen sprechen: Amen. [alle sprechen: Amen] Danach betet die Siechenmeisterin das Glaubensbekenntnis.

Widmann (ergänzt): Nähert sich der Tod eines Schwerstkranken, so hat die Siechendienerin sofort den Konvent zu verständigen, damit sich die Schwestern um das Bett des Sterbenden versammeln. Sie bereitet das Sterbebett vor und benachrichtigt den Beichtvater, um die Beichte zu ermöglichen. Nach dem Tod wäscht sie den Leichnam mit warmem Wasser und legt ihn, wohl eingenäht in ein Leichentuch, auf die Bahre. Ist das Begräbnis erfolgt, wäscht sie die Kleider und reinigt die sonstige Hinterlassenschaft des Verstorbenen, der verstorbenen Mitschwester, und führt alles wieder der Klostergemeinschaft zu.

7 – im Kräutergarten des Frauenklosters

Widmann geht mit der Gruppe in den Kräutergarten:

Eine alte Frau betet herzerweichend und ohne Pause das Gebet an den Heiligen Sebastian:

O Du seliger Sebastian, wie groß ist Dein Glaube,
bitte für mich, deinen Diener, unseren Herrn Jesum Christum,
dass ich vor dem Übel des Gebrechens der Pestilenz behütet werde.
Bitte für uns, Du heiliger Sebastian,
dass wir der Gelübde unseres Herren würdig werden.
Allmächtiger ewiger Gott,
der Du durch das Verdienst
und das Gebet des Heiligen Märtyrers Sankt Sebastian
vor dem gemeinen Gebrechen der Pestilenz
die Menschen gnädiglich behütest,
verleihe all denen, die bitten
oder dieses Gebet bei sich tragen
oder es andächtigtlich sprechen,
dass die Selbigen vor dem Gebrechen der Pestilenz behütet werden
und durch die Treue desselben Heiligen Sankt Sebastian
von aller Betrübnis und allen Ängsten
um den Leib und die Seele befreit werden.
Amen.

Nach dem dritten Mal steht sie mühsam auf und verteilt die Zettel mit den Gebeten als Talisman an das Publikum, litaneiartig sagend:

1: Nehmt, der Heilige Sebastian wird Euch beschützen, Nehmt und betet.

Widmann geht mit der ganzen Gruppe weiter in den Kräutergarten und erläutert einige Kräuter und ihre Wirkungen. Er erzählt die Geschichte eines Kollegen, der ihm berichtet habe (während dessen kommt eine alte Frau auf die Gruppe mit einem Körbchen mit Kräutern):

Als in Freiburg die Pest wütete, sammelte eine arme, alte Frau heilkräftige Kräuter für die Ärzte, wurde dabei aber so müde, dass sie erschöpft und bewusstlos zu Boden sank. Da flog ein Vogel hinzu, den sie später nie wieder gesehen hat, und zwitscherte ihr zu:

Esset Wacholderbeeren und Bibernell,
so sterbet ihr nicht so schnell.

Die Gruppe geht mit Widmann zurück, Richtung Lapidarium, bei Backhaus steht Spitalmeister Matthias Hütlin, der Verfasser des Liber vagatorum, des Buches über die Vaganten und Fahrenden Leute (1509), er begrüßt ihn, dieser spricht ein Kapitel aus seinem Buch, während hinter dem Backhaus eine Frau auftaucht mit einer Kröte in der Hand.

1: Es sind auch etliche Weiber, die tun so, als ob sie seltsame Gestalten ausgetragen und zur Welt gebracht hätten. Als kürzlich in dem tausendfünfhundertneunten Jahr nach Pforzheim eine Frau kam, erzählte dieselbe Frau, wie sie ein Kind und eine lebendige Kröte vor kurzem zur Welt geboren habe. Dieselbe Kröte habe sie dann zu Unserer Lieben Frau zu Einsiedeln getragen, daselbst wäre sie noch lebendig. Der Kröte müsste man alle Tage ein Pfund Fleisch geben, diese Kröte hielte man zu Einsiedeln für ein Wunder. Und die Frau bettelt also: Daß sie jetzt auf dem Weg wäre gen Aachen
2: Ich bin auf dem Weg gen Aachen
1: zu Unserer Lieben Frau,
sie hätte auch Brief und Siegel,
die ließe sie auf der Kanzel verkünden.
2: Seid mildtätig und gebet, Gott wird’s euch danken.
1: Dieselbe Frau hat einen starken Jungen in der Vorstadt im Wirtshaus sitzen [aus der Lapidarumstür rechts schaut ein Junge, dem sie Geld zusteckt], der auf sie wartet, den sie mit solcher Gaunerei ernährt.
Da ward man ihrer durch den Torwächter inne und wollte sie ergreifen,
aber sie waren gewarnt worden und machten sich davon:
Und es war alles, womit sie umgegangen, Büberei und erlogen.

Widmann bedankt sich bei Hütlin, für sein Werk, dass vielen Menschen helfen wird, wahrhaftige Arme von Lügnern zu unterscheiden.

8 – Lapidarium, rechter Gang vom Garten aus, beim Apotheker:

Inschrift der Oberen Apotheke des Conrad Wilhelmi am Marktplatz von 1695

Widmann liest die Tafel:
1: Jesus Sirach, im 27. Kapitel, Vers 4
Der Herr lässt die Arznei aus der Erden wachsen und ein Vernünftiger verachtet sie nicht. Wurde doch das bittere Wasser süß. Durch ein Holz, auf das(s) man seine Kraft erkennen sollte und er hat solche Kunst den Menschen gegeben, dass er gepriesen würde in seinen Wundertaten, damit heilet er und vertreibe die Schmerzen und der Apotheker macht Arznei daraus.
[Conrad Wilhelmi, Anno 1695]

Der Apotheker bereitet am Tisch den Pforzheimischen Zauberbalsam [Zedler Lexikon, 1741: Pforzheimischer Zauberbalsam]:

2: Pforzheimischer Zauberbalsam ist ein wundernswürdiger Balsam, der auf folgende Art bereitet wird. Man nehme Wein, am besten eine roten, und dreißig verschiedene Extrakte, nicht zu vergessen den Theriak, und lasset alles in einem wohl verschlossenen Gefäße so lange sieden, bis der Wein ganz und gar eingekocht ist. Dann presse man es recht gut aus und gibt im Anschluss dreizehn weitere Substanzen dazu, darunter eine Prise Mumiae, den Abrieb von alten Mumien aus dem Ägyptenland, dort waren sie berühmt um ihre Heilkunst. Dann lässt man es von neuem aufkochen und stellt es danach an die Sonne oder lässt es im Winter auf dem Ofen zirkulieren. Wenn der Balsam zu lange stand, kann man ihn mit frischen Kräutern, Blüten oder Samen von Johanniskraut, leicht vermehren und wie neu machen. Denn je älter dieser Balsam ist, je kräftiger und edler ist er.
Dieser Balsam ist so berühmt, dass er allen Arzneimitteln, die man wieder die Zauberei, den Schadenszauber, die schwarze Magie hat, vorgezogen wird. Daher pflegen ihn auch die württembergischen Ärzte in allen bezauberten Krankheiten, oder in all denen, welche man nicht genugsam, nicht gründlich erforschen kann, und wo man eine Verzauberung mutmaßen muss, zu verschreiben.

1 [Widmann]: Ja der leichtgläubige Pöbel nimmt auch zu diesem Balsam seine Zuflucht, als wär’s ein heiliger Acker.

2: Er wird aber sowohl in- als äußerlich angewandt. Innerlich wird er bis zu 20 oder 30 Tropfen in Fleischbrühe oder Wein gegeben. Äußerlich wir der schmerzhafte Ort, die Nase, der Nacken und die Schläfe warm damit bestrichen.

1: Es gibt nichts Vortrefflicheres wider eingenommenes Gift als diesen Balsam, wenn er innerlich angewandt wird.

2: Doch mit der Bedingung, dass man vorher ein Erbrechen verursacht, entweder durch Lauge, oder warm getrunkenes Olivenöl, oder, welches noch besser ist, durch Tabakswasser. Es treibet den Stein und Gries, wenn man ihn öfters in gekochten Eiern einnimmt. Wenn man viel auf einmal einnimmt, tötet er die Würmer im Bauche und treibt sie aus, besonders wenn er in Flöhkrautwasser gebraucht wird.

1: Gebraucht man ihn auf besagte Weise, so erhält er den Leib von allem Tadel frei und bewahrt ihn vor vielen Geschwüren, dass ganz keine, weder innerlich noch äußerlich, im menschlichen Körper entstehen können. Er stillt auch innerliche äußerliche Blutungen, wenn man die Pflaster damit tränkt.

2: Bei Kopfwunden, wenn das Hirn offen liegt, kann jedoch ein einziger Tropfen Böses bewirken: So wäre es um den Verwundeten geschehen und er verfiele in Raserei.

1: Der arme Mensch.

9 – Hof hinterm altem Pfarrhaus, Stiege am Mottenkäfig, Treppe beim Amphitheater: Seuchen in Pforzheim in früheren und späteren Jahrhunderten

[Gedicht von Eduard Brauer (1811-1871; Pestgedicht erstmals 1844); 1839 Amtsassessor in Pforzheim, ab 1844 Amtmann in Karlsruhe, zuletzt Oberhofgerichtsrat; verfasste u.a. „Badische Sagenbilder in Lied und Reim“.

1: Die Pest zu Pforzheim. Ein Gedicht.
Der löblichen Singergesellschaft gewidmet von
Eduard Brauer.

Welch Lärmen, welch Gedränge
Stört Pforzheims Morgenruh?
Was treibt in bunter Menge
Das Volk dem Rathaus zu?
O wär’ es nie gesprochen
Das schauervolle Wort:
„Die Pest ist ausgebrochen!“
So tönt’s von Ort zu Ort.

Heute roth, Morgen todt,
Hilf uns Herr in der letzten Noth,
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht.

O Leid! In jedem Hause
Herrscht Klag’ und Seufzen bald,
Die Schlächterin, die grause,
Trifft sicher Jung und Alt,
Das Kind, den kräft’gen Gatten,
Das Weib im Schönheitsglanz,
Den Greis, den altersmatten,
Die Braut im Myrthenkranz.

Heute roth, Morgen todt,
Hilf und Herr in der letzten Noth,
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht.

Verödet sind die Straßen,
Es schweigt der Arbeit Schall,
Des Hirten muntres Blasen,
Gesang und Peitschenknall;
Die Sterbglock’ hört man hallen,
Der Nonnen Klagepsalm,
Viel hundert Opfer fallen
Jach wie des Grases Halm.

Heute roth, Morgen todt,
Hilf uns Herr in der letzten Noth
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht.

Der Kirchhof wird zu enge,
Er sträubt sich mehr und mehr
Der Todten schwere Menge
Zu fassen nach Begehr,
Am Wege, vor den Thüren,
Häuft sich der Leichen Zahl,
Kein Mensch will sie berühren,
Es häuft sich Angst und Qual.

Heute roth, Morgen todt,
Hilf uns Herr in der letzten Noth,
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht.

Den Bruder flieht die Schwester,
Den Hausherrn das Gesind,
Den Freund der Freund, sein bester,
Die Mutter selbst das Kind.
Gesprengt sind alle Bande
Der Sitte, der Natur;
Wer übt noch Macht im Lande?
Die Pest ist Herrin nur!

Heute roth, Morgen todt,
Hilf uns Herr in der letzten Noth,
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht.

Dieweil nun pestgepeinigt
Die Stadt voll Jammers war,
Hat Rathes sich vereinigt
Von Bürgern eine Schaar,
Und glaubensstark geschlossen
Den edlen S i n g e r b u n d ,
Viel wackre Gildgenossen
Gelobten sich’s zur Stund:

Was auch droht, Qual oder Tod,
Laßt uns lindern der Kranken Noth,
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Er üb’ an dem Todten die Christenpflicht.

So führten sie mit Singen
Ihr Amt der Stadt zum Heil,
So Hohen als Geringen
Ward Hilf und Trost zu Theil,
Die Lieb’ und Treue kehrte
Zurück zum Strand der Enz,
Und Gott im Himmel wehrte
Dem Zorn der Pestilenz.

Heute roth, Morgen todt,
Hilf dem Nächsten nach Gottes Gebot,
Wer weiß, wann die Noth in’s Haus dir bricht,
Gedenke des Todes, der Christenpflicht.

Das Publikum läuft an den Tafeln vorbei nach oben in den Kastanienhof.
Texte der Tafeln:

1349 Pest
ca. 33 %-50% Tote

1474/75 Pest
ca. 33 % Tote

1501 Pest
ca. 2000 Tote

1582/83 Pest
ca. 33 % Tote

1666/67 Pest
brach nicht aus

1806 Typhus
ca. 1000 Tote

1919 Typhus
3692 Erkrankte
335 Tote

1920 Ruhr
960 Kranke
154 Tote

10 – Kastanienhof beim Kriegerdenkmal

Johannes Widmann empfängt die Zuschauergruppe. Er spricht von Ersingen-Bilfingen 1357, dann von Pestprozessionen und Pestbegräbnis und der Gründung der Singergesellschaft, währenddessen haben sich die Kuttenträger wieder umgezogen und ziehen einen Karren mit einem Toten über das Feld einmal um die Figur.

[Schwörtag Ersingen-Bilfingen, 7. September 1357]

1: Im Jahr des Herrn 1357, also 650 Jahre vor Eurer und 144 vor unserer Zeit, wütete in den Dörfern Ersingen und Bilfingen die Pest, in kurzer Zeit starben 232 Menschen. Beide Gemeinden verpflichteten sich damals auf ewige Zeiten, den 7. September jeden Jahres als Bußtag mit Wasser und Brot zu feiern. Im Jahre 1490 gingen dann der Pfarrer, der Schultheiß und der Kirchenpfleger der Dörfer zum päpstlichen Legaten Raimundus, der in der Nähe weilte, und baten um Ermäßigung der strengen Vorschriften, die ihnen auch erteilt wurde. Seither ist nur noch der Vormittag Bußtag.

Eine klagende Frau tritt hervor:
[eine Inschrift an der Mauer der Peterskirche in Endingen]

1: Ist’s nicht eine große Plag,
Siebzehn in einem Grab?
Und ist es nicht ein großer Graus?
Sieben aus einem Haus?

Am Schluss spricht beim Pestzug die Gruppe das Totenlied aus dem späten Mittelalter:

1: Ich wollt, dass ich daheime wär und aller Welte Trost entbehr.
2: Ich mein daheim im Himmelreich, da ich Gott schaue ewiglich.
3: Wohlauf, mein Seel, und richt dich dar, dort wartet dein der Engel Schar.
4: Denn alle Welt ist dir zu klein, du kommst denn erst wieder heim.
5: Daheim ist Leben ohne Tod und ganze Freude ohne Not.
6: Da sind doch tausend Jahr wie heut und nichts, das dich verdrießt und reut.
7: Wohlauf, mein Herz und all mein Mut, und such das Gut ob allem Gut!
8: Was das nicht ist, das schätz gar klein und sehn dich allzeit wieder heim.
9: Du hast doch hie kein Bleiben nicht, ob’s morgen oder heut geschieht.
10: Da es denn anders nicht mag sein, so flieh der Welte falschen Schein.
11: Bereu dein Sünd und bessre dich, als wollst du morgen gen Himmelreich.
Alle: Ade, Welt, Gott gesegne dich! Ich fahr dahin gen Himmelreich!

11. = 1. Station: In der Kirche St. Martin

Die vier Singer ziehen in die Kirche ein, das Volk bleibt draußen vor der Nebentür, nur Widmann geht mit in die Kirche, dort sitzt schon Kirsten Klein…

Widmann tritt vor die Gruppe und gibt letzte Ratschläge, wie man sich verhalten soll in und nach der Pest und geht wieder in seine Stube und erstarrt

1: [Aus Philipp Schopff, Pesttraktat „De Peste“, 1583:]

Nun gebet noch gut acht, was der kundige Doktor spricht:

Die Merkzeichen künftiger Pestilenz sind diese: Erdbeben, Kometen, Sonnenfinsternisse, wunderbarliche Geburten, Schaltjahre, viel Ungeziefer, wenn die Wölfe sich nahe bei den Städten und Dörfern aufhalten, Sterben unter dem Vieh, die Missgeburten schwangerer Weiber, gemeine Krankheiten unter den Menschen wie hitzige Fieber oder Kopfschmerzen mit seltsamen Phantastereien oder Dilirium, Seitenstechen, böse Blattern sonst reiner Leute, wenn im Sommer die Heuschrecken nicht singen oder die Raben und andere Vögel sich häufig an einem Ort versammeln und die Luft, wo sie sich sonst immer aufgehalten haben, fliehen. So folget bisweilen auch Krieg und großer Teuerung und Hungernot die Pest.
Wenn aber nun die Krankheit der Pest durch die Hilfe Gottes aufgehört hat, soll man sich für die Zukunft wohl verhalten, in Essen und Trinken und anderen Dingen mäßig sein, nicht gleich wieder an die Luft gehen, erst wenn die Pest ganz aufgehört hat am Ort und der Patient sich aller Dinge wohl befindet. Die Bettwäsche, das Nachthemd und alle Kleider soll man an die Luft hängen und waschen, was zu waschen ist. Und man soll Gott dem Allmächtigen Dank sagen, dass er ihn so väterlich vor der grausamen Plage errettet hat und beim Leben erhalten. Der liebe Gott wolle uns auch in Zukunft von dieser und anderen Plagen und Strafen gnädiglich behüten und endlich selig machen. Amen.

Doch merket Euch zuletzt: Es ist auch nicht gut, dass sich einer an denen Orten aufhalte, da große Versammlung vom Volk ist, als auf Jahrmärkten, Schauspielen, Bädern, Tänzen. Denn wo ein solcher Zulauf vielerlei Menschen ist, da hält sich das Pestiletiale Contagium gern und kann ein einziger Infizierter eine ganze Stadt anstecken.

Dann beginnt Kirsten Klein mit der Schlusslesung:

Pforzheim, am Tag des Barnabas, den 11. Juni 1501

Der leise Trauergesang einer neugegründeten Totenbruderschaft wird seit Tagen zum nichtendenwollenden Lied Pforzheims.
Gekleidet in lange schwarze Mäntel, die Gesichter unkenntlich verborgen hinter schnabelförmigen Masken, in denen Kräuter gegen pestilenzialische Gerüche stecken, und angetan mit Handschuhen, die weit über die Ärmel reichen, geleiten sie die Dahingerafften auf Holzkarren zu den Gruben, in die sie hineingeworfen werden. Kaum ein Pater wagt sich noch zu einem Sterbenden, um seine Seele zu retten, denn er fürchtet um sein eigenes Heil.
Wer sie kommen hört, weicht den mutigen Männern ehrfurchtsvoll aus und betet, dass sie nicht schon morgen selbst auf dem Karren liegen mögen.
Leerer werden die Häuser, ganze Straßenzüge, und übervoll die Kirchhöfe. Herrenlos streunt das Vieh durch verlassene Gassen – Ziegen, Schweine und allerlei Gefiedertes. Der Rat hat erlassen, sämtliche Hunde und Katzen zu erschlagen und ihre Körper zu verbrennen. Unbarmherzig knallt die Sonne auf tote Menschenleiber, bringt das verwesende Fleisch zum Sieden und läßt alle Körpersäfte zu pestilenzialischen Dämpfen in die Luft aufsteigen. Wohin mit den Zeugnissen von Gottes schrecklichem Strafgericht?
Am südlichen Enzvorland gibt es von alters her seltsame Schächte, die ehemals Brunnen gewesen sein könnten. Dort hinein werden nun etliche Leichen geworfen.
Heute früh sind mir die ehrenwerten Brüder begegnet. Sie sangen, und manchmal schien es mir, als wollten sie sich gegenseitig Mut und Trost zusingen. Gespenstisch anmutend im Morgengrau eines neuen Schreckenstages, räumten sie klagend auf, was der Tod in vergangener Nacht angerichtet hat.
So stirbt die Stadt täglich ein bisschen mehr.

Und so habe ich in meinem Roman „Die Pfeile Gottes“ die Gründungszusammenkunft der Löblichen
Singer dargestellt:

„Ehrenwerte Männer aller Zünfte, die ihr so zahlreich erschienen seid, heute am Dreikönigstag, im Jahre des Herrn fünfzehnhundertzwei“, eröffnete der Schultheiß die Versammlung, Richter und Rat der Stadt um ihn vereint. „Hört zunächst, was Claus Breitschwert aus der Leineweberzunft euch zu sagen hat.“ Damit ließ er den Genannten vor den Heilig-Kreuz-Altar in die Mitte des Chores treten.
„Kein Jahr ist’s her, dass wir hier in höchster Not zusammentrafen“, erinnerte Breitschwert und rief einen Abglanz von Betroffenheit auf die Gesichter zurück. „Noch immer erfahren wir – wenn die meisten sich auch angstvoll vor der Wahrheit ducken möchten – von vereinzelten Fällen der Pestilenz. Dank Gottes Gnade scheint jedoch die Zeit vorüber zu sein, in der wir täglich Verstorbene zum Grab geleiten mussten. Dafür lasst uns dem Herrn danken.“ Er faltete die Hände und senkte den Kopf zum stillen Gebet, dem sich alle anschlossen.

„Lasst uns nun nicht leichtsinnig werden“, mahnte er, nachdem sein Amen das Schweigen beendete. „Heute sind wir, jene von damals, die noch übrig sind, und – wie ich sehe – viele weitere, zusammengekommen, um unsere Totenbruderschaft hiesigem Brauch und Recht gemäß feierlich zu begründen. Als Trost und Hilfe in schwerster Zeit hat sie sich erwiesen, und wohl keinem sind wir unbekannt geblieben. Auch künftig wollen wir einander beistehen, wie es sich gebühret für ehrenwerte Leut’.“

Breitschwerts Worte klangen noch jedem in den Ohren, als er das Wort wieder an den Schultheiß übergeben hatte.
„Höret nun die Satzung der neugegründeten Totenbruderschaft – der Löblichen Singergesellschaft – wie
sie beim Volke schon lange genannt wird und wie sie hinfort auf ewig heißen soll.“

Wir danken, für Ihre Aufmerksamkeit… und hüten Sie sich vor der Pest.

Nach oben