Dankesrede für die Verleihung
des
“Hebel – Dankes”
Dr. Franz Littmann
Liebe Hebelfreunde !
„Man lernt nur von dem , den man liebt.“
sagte Goethe am Ende seines Lebens im Gespräch mit Johann Peter Eckermann .
Fast jedes mal nach einem Vortrag zu Johann Peter Hebel werde ich gefragt , warum ich mich so
intensiv mit diesem badischen Dichter beschäftige . Oder , warum ich eine Biographie über ihn
geschrieben habe . Meist , auch weil die Frager in der Regel keine Zeit für eine ausführliche Antwort
haben, verweise ich auf den banalen Anlass, dass ich während meiner Mitarbeit an einem Ethikschulbuch
Geschichten suchte, die Schüler zum Nachdenken über ihre Normen und Werte herausfordern .
Tatsächlich gelingt es ja einem Lehrer sofort, mit Schülern ins Gespräch zu kommen , wenn man ihnen
den „Seltsamen Spazierritt“, die „Drei Wünsche“, den „Kannitverstan“ oder „Kindes Dank und Undank“
vorliest .
Sofort ist man mitten in der Diskussion darüber, ob man tatsächlich der Mensch ist, der man eigentlich
sein müsste. Ob man die richtige Einstellung zum Leben hat. Also den richtigen Ethos, was ja für die
Griechen nichts anderes bedeutete, als den richtigen Platz unter der Sonne bzw. im Kosmos zu finden .
Heute möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, um ausführlich auf die Frage, warum Hebel mich so
fasziniert , zu antworten .
„Man lernt nur von dem , den man liebt .“
Im Gegensatz zur akademischen Philosophie, die ich während meines Studiums an der Marburger
Philipps–Universität kennen und verstehen lernte, sind Johann Peter Hebels Weisheiten und Lebenslehren
jedermann zugänglich . Theorie und Praxis, das Philosophieren und die Lebensweise, sind bei ihm eine
Einheit . Weil er sich der wahren Idee des Philosophierens verpflichtet fühlte, so zu leben, wie man
philosophiert . Wie bei den antiken Philosophen, wie im Urchristentum, als die Entscheidung für eine
Lebensweise bzw. ein tugendhaftes – Hebel würde sagen „frommes“ – Leben nicht am Ende, sondern
am Anfang der „Liebe zur Weisheit“ stand . Genau diesen philosophischen Diskurs, der seinen Ursprung
in einer Lebenswahl und in einer existentiellen Entscheidung hat , vermisste ich an der Universität .
Dort dominierte die Spekulation . Nicht die Ausübung . Das Gespräch der Gelehrten ( der Ideologen ,
der Geistes-Wissenschaftler), nicht die Anstrengung, in Übereinstimmung mit einem bestimmten Ideal
zu leben .
Beschäftigt man sich gründlich und vorurteilslos mit Hebels Werk, wird man sanft aber unweigerlich
von seiner Philosophie beeinflusst . Man wird sozusagen verführt, einfach und ruhig und zufrieden zu leben .
Hebels Werk übt eine „praktische“ Wirkung auf den Leser aus . Es zwingt immer wieder zur Prüfung
der Lebenseinstellung .
Gerade weil Hebel nicht mit dem erhobenen Zeigefinger eines Schulmeisters daherkommt .
Weil er es dem Leser überlässt, über seine Lebensvorschriften und -ideale nachzudenken . Zu prüfen ,
ob und wie man seine Vorurteile überdenken und verändern muss . Schließlich ist nur derjenige, der
freiwillig seine Meinung, seine Haltung, seine Lebenswahl reflektiert, dann auch zu einer Änderung bereit.
Jeder Zwang auf ethischem Gebiet produziert nur Heuchelei .
Hebels Verständnis von Volksaufklärung, das ist genau der entscheidende Punkt , warum sein Werk
auch noch im 21. Jahrhundert hochaktuell ist . Ihm war klar, dass in der Moderne die Beantwortung
der Frage, wie ein sinnerfülltes, geglücktes Leben gelingen kann, eine Angelegenheit jedes einzelnen
Individuums ist . Sich somit nicht mehr aus der Tradition, aus der Konvention, oder aus der Religion
heraus versteht . Den Sinn des Lebens und wie richtig zu leben ist, muss jeder Mensch selbst finden .
Alle Regeln und Gebote ,nach denen ein Mensch heutzutage lebt, sind selbstauferlegt . Sie entspringen
nicht mehr einem göttlichen oder staatlichen Gesetz .
Hebels „Hausfreundschaft“, darauf wurde von Martin Heidegger hingewiesen , ist dieser modernen
Grundsituation angemessen : „Der Hausfreund will weder nur belehren noch erziehen . Er lässt den Leser
gewähren , damit dieser von sich aus in jene Zuneigung zum Wesenhaften gelange , zu dem sich der
Hausfreund vorneigt .“
Das knitze, Heidegger verwendet dafür in seinem Feldweg – Aufsatz das Wort „kuinzige“, also die
wissende Heiterkeit von Hebel, ist seine vorgetäuschte Naivität . Es ist die von Sokrates übernommene
Hebammenkunst, die den Leser dazu bringt, sich und die Werte, die ihn leiten, in Frage zu stellen .
Im Brief vom 20. Juli 1817 an Justinus Kerner hat Hebel dieses Geheimnis verraten: Man müsse,
schreibt er, den Leser des Kalenders „quasi aliud agendo“ belehren. Auf deutsch : belehren, indem man
gleichsam etwas anderes tut . Sozusagen wie nebenher .
Das beste Beispiel für das Beiläufige von Hebel ist der letzte Satz aus der Kalendergeschichte
„Der Wasserträger“. Er lautet : „Der Hausfreund denkt etwas dabei , aber er sagt nichts .“
Die Lektion, die der Leser bekommt, heißt : Für sich genommen ist alles auf der Welt weder gut noch
schlecht, sondern es hängt von uns ab, es gut oder schlecht zu gebrauchen. Der Lottogewinn,
der Reichtum, die Armut, das Auto, das Internet, das Handy, das Rauchen, der Wein …
alles hängt vom souveränen Gebrauch ab, den der Mensch von den Dingen macht .
Hebel sympathisiert, ohne es direkt zu sagen, mit dem Wasserträger, der am Ende den Leuten
wieder das Wasser in die Häuser trägt wie vor seinem sagenhaften Lottogewinn. Aber nicht, weil er
wieder arm ist. Nein, er sympathisiert mit ihm, weil er „so lustig und zufrieden“ ist wie vorher .
Damit ist das Ziel von Hebels Hausfreundschaft bzw. seiner Predigt (praedicare: etwas vorsagen )
bzw. seines dichterischen Sagens auf den Punkt gebracht . Hebel sagt nicht, was es zu tun gilt im Leben, sondern vielmehr, wie man handeln soll .
Dementsprechend gibt es in Hebels Philosophie nur ein Übel, nämlich den Unwillen, Gutes zu tun und
nur ein einziges Gutes, nämlich den Willen, Gutes zu tun . Das ist auch das Wesentliche seines
alemannischen Gedichts „Die Vergänglichkeit“ : „Sei du fromm un halt di wohl , geb wo de bisch un
bhalt dy Gwisse rain“ , sagt der Ätti zu seinem Bueb .
Was mich, um es zusammenzufassen, so empfänglich macht für Johann Peter Hebels Weltbild , ist
dessen Fokussierung auf das Einzelschicksal . Sein Hausfreund ist kein Wegweiser für Veränderungen
des Weltzustandes. Rüdiger Safranski in seinem Buch „Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?“
hat darauf hingewiesen, wie einmalig und großartig Hebels Plädoyer für die individuelle Lebenszeit im
„Unverhofften Wiedersehen“ ist . Hebels ganzes Werk ist eine aus der Antike, dem Christentum,
dem Judentum und der Aufklärungsphilosphie gespeiste Erinnerung an die Bedeutung des zur
Selbstbestimmung fähigen Individuums . Wie ein roter Faden durchzieht die Aufforderung zum
Selberdenken sein Werk .
Rührt die Krise Europas nicht daher, dass nicht mehr das Einzelschicksal und die Sinnsuche des einzelnen
Menschen im Zentrum stehen? Mit dem Maßstab, das Dichten und Denken an der individuellen
Lebenszeit zu orientieren, in der sich für den Einzelnen alles entscheidet, weist Hebel nach wie vor in
die Zukunft . Ist er nach wie vor ein Vorbild. Verhilft er weiterhin allen Menschen, die seinem Hausfreund
zugeneigt sind, zu der für ein Leben als mündiger Christ und Bürger tragfähigen Einsicht, dass das
„wahre und sichere Glück des Lebens … nicht außer uns (liegt), sondern in uns; nicht in dem Adelsbriefe
(oder einem Hebeldankpreis) … sondern in ruhigen zur Freude rein gestimmten Herzen.“
(Das Glück des Weisen).
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen den Reichtum Ihrer eigenen Gedanken
zu Johann Peter Hebels Philosophie!
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