Hauptsache Kultur

Vortrag anlässlich der Jahreshauptversammlung der LÖBLICHEN SINGERGESELLSCHAFT VON 1501 PFORZHEIM am 6. Januar 2008Dr. Isabel Greschat, Kulturreferentin der Stadt Pforzheim

Rede im vollen Wortlaut: Es gilt das gesprochene Wort!
Meine sehr verehrten Herren, sehr geehrte Löbliche Singer,

Kann man aus der Geschichte lernen? Diese Frage ist immer wieder gestellt und unterschiedlich beantwortet worden. Als Singer, als die Sie ja per se geschichtsinteressiert sind, werden Sie mir
sicher darin Recht geben, dass die Geschichte Modelle bereithält, ein Reservoir an Ideen und Möglichkeiten, die noch heute ausgesprochen interessant sein können. So auch zum Thema Kulturförderung. Und da wir ja nach den Feier- und Urlaubstagen noch nicht so richtig im Hier
und Jetzt gelandet sind, beginnen wir mit einem historischen Exkurs. Wir befinden uns in der Antike
und schauen auf Gaius Maecenas. Der Mann ist uns bis heute, gut 2000 Jahre nach seinem Tod, als Namensgeber des Mäzenatentums bestens bekannt; als solcher ist er sicher nicht weniger berühmt
als sein Zeitgenosse und Dienstherr, der Kaiser Augustus.

Maecenas ist ein Mann aus vornehmem Haus, politisch tüchtig und geschickt – jedenfalls bringt er es
zum Vertrauten und Berater Augustus’, und das Vertrauen wird nur wenig dadurch getrübt, dass
Augustus ein Techtelmechtel mit Maecenas’ Frau Terentia anfängt. Maecenas ist ein einflussreicher
und wohlhabender Mann, schätzt den Luxus und die schönen Künste. Er ist sicher eine beeindruckende Persönlichkeit – bleibenden Ruhm hat er sich damit aber nicht erworben. Der Mann hat außer der alltagstauglichen jedoch auch noch eine andere Seite: Er liebt die Dichtkunst, und als er für seine eigenen Verse nur Spott und Hohn u.a. von Seneca erntet, wird er – und damit beweist er echte Größe – zum Freund und Förderer wirklich guter junger Dichter. Hier ist er in seinem Element: Horaz, Vergil und Properz gehörten zu seinen Schützlingen. Seine Großzügigkeit bleibt nicht heimlich, still und unerwähnt, vielmehr bezeugen die Dichterfreunde ihre Dankbarkeit wortgewandt in ihrer Dichtkunst. Dem Maecenas gefällt’s. Und es gefällt ihm ebenfalls, dass die Dichter, die er um sich versammelt, erheblich zum guten
Ruf des augusteischen Prinzipats beitragen. Eine bessere und vor allem nachhaltigere Marketing-Strategie hätten er und Augustus sich gar nicht ausdenken können (womit nicht unterstellt sein soll, dass alles nur Kalkül gewesen sei).

Solche willkommenen Nebeneffekte haben aber sicher dazu beigetragen, dass die Idee des Mäzenatentums ihre Kreise zog, also die Förderung von Kultur ohne Vereinbarung einer direkten Gegenleistung. Das Paradebeispiel der Geschichte ist – Lorenzo de Medici, genannt Il Magnifico:
der Prächtige. Lorenzo, 1449 als Enkel des mächtigen, erfolgreichen und immens reichen Bankiers
Cosimo de Medici geboren, übernahm nach dem Tod seines Vaters als 20Jähriger faktisch die
Herrschaft über Florenz. Florenz war eine Republik, de jure hatte Lorenzo gar keine Amtsgewalt; er
und seine Familie besaßen de facto qua Geld, Persönlichkeit und Beziehungen dennoch eine fast uneingeschränkte Macht. Diese Form des Regierens nennen wir Prinzipat – auch hier lässt Maecenas grüßen. Konkret bedeutete das für Lorenzo: Arbeiten im Hintergrund, Protektion ausgewählter
Personen, vor allem Netzwerke knüpfen und pflegen. Sie sehen: Überall kann man aus der
Geschichte lernen!

Doch Lorenzo war nicht einfach nur ein geschickter Politiker, sondern auch ein umfassend humanistisch Gebildeter, und vor allem der vielleicht größte und berühmteste private Kulturförderer Europas.
Der Literatur und Philosophie, der Malerei und Skulptur und nicht zuletzt der Architektur galten
seine Interessen. Zu seinen Protégés zählten Sandro Botticelli, Leonardo da Vinci und Michelangelo;
die von seinem Großvater gegründete Platonische Akademie blühte unter seinem Einfluss zur wichtigsten philosophischen Schule der Renaissance auf, hier lehrten u.a. Pico della Mirandola und Marsilio Ficino.
Die Familie Medici förderte aber nicht nur Kunst und Wissenschaft in ihrer Stadt, sondern gestaltete
auch maßgeblich deren architektonisches Gesicht. So gehen der Florentiner Dom, die Uffizien, das Belvedere und die berühmte Biblioteca Medicea Laurenziana auf sie als Auftraggeber zurück. Unter
den Medicis und besonders unter Lorenzo wurde Florenz zu der Stadt der Künste während der Renaissance. Es ist nicht übertrieben zu sagen: Die Medici machten regelrecht die Florentiner Renaissance.1482 reiste übrigens auch Johannes Reuchlin ein erstes Mal nach Florenz; geradezu überschwänglich bilanziert er im Nachhinein: „In jener Zeit gab es nichts Blühenderes als Florenz, von
wo in Literatur und Wissenschaft alles wieder erstand, was zuvor untergegangen war.“

Lorenzo de Medici ist der Mäzen in der Geschichte unseres Kulturkreises. Das heißt aber keineswegs,
um jetzt einem gängigen Missverständnis zuvorzukommen, dass er nur im Interesse der Künste und
völlig uneigennützig gehandelt hätte.

Die Künste wurden in seiner Regentschaft auch zum Mittel der Repräsentation, zum für alle sichtbaren Inbegriff von Bildung und Macht. Gerade für einen Granden wie Lorenzo de Medici, der seine nur auf Einfluss und Reichtum beruhende Macht immer wieder legitimieren musste, um glaubwürdig zu bleiben , spielte die Selbstdarstellung, heute würde man sagen: das Eigen-Marketing, die entscheidende Rolle.
Und die Förderung der Künste war die wirksamste und ganz sicher auch die nachhaltigste Art und
Weise dieser Selbstdarstellung. Ganz wichtige Voraussetzung war dabei natürlich, dass Lorenzo nicht Förderer im Sinne eines Almosengebers war, und schon gar nicht nach dem Gießkannenprinizip vorging; nein, er suchte sich die begabtesten und hervorragendsten Künstler seiner Zeit aus und bedachte sie mit bedeutenden Aufträgen. Und einzig und allein mit diesem undemokratischen, leistungsorientierten Ansatz war er der großartigste und wirkungsvollste Förderer der Künste. Denn: Indem er nach dem Prinzip handelte: ‚Nur große Künstler können mich als Auftraggeber selbst groß machen’, förderte er das Selbstbewusstsein, den Status und das Ansehen der Künste wie kein Mäzen vor ihm. Lorenzo hatte begriffen, dass die Hochachtung vor der Kunst ihm selbst als deren Mäzen die meiste Achtung einbrachte. Eine klassische win-win-Situation.

Und wenn Karl V. sich geehrt fühlte, Tizians herunter gefallenen Pinsel wieder aufzuheben, und der Sonnenkönig Louis XIV den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften und der Schöne Künste
sagte: „Ich anvertraue Ihnen das Kostbarste auf Erden – nämlich meinen Ruhm“, dann spricht aus
ihren Worten der gleiche Geist.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Warum erzählt sie uns das eigentlich alles? Was hat das mit uns und mit heute zu tun?

Ich denke, einiges. Natürlich, ein Faden ist abgerissen: An die Stelle von Fürsten, Päpsten oder Königen
ist der Staat bzw. die Kommune als wichtigster Kulturförderer getreten. Es geht nicht mehr (oder doch nicht mehr in dem Maß) um Persönlichkeitskult. Wenn auch Francois Mitterand (um nur ein Beispiel zu nennen) sich mit der Umgestaltung des Louvre (Pyramide) und der Grande Arche in la Défense
Denkmäler setzte, die mit seinem Namen verbunden bleiben werden (und sollen).

Auch heute noch und in bestimmter Hinsicht gerade heute wieder gibt es daneben natürlich auch
private Mäzene, wie etwa Frieder Burda in Baden-Baden, dessen Museum von den Badenern fast abgelehnt worden wäre, mit dem Argument, es gehe dem Millionär ja nur darum, sich selbst ein
Denkmal zu setzen. Heute ist man in der badischen Kurstadt über dieses Denkmal ebenso glücklich
wie in Florenz über die Uffizien.

Kultur wirbt in unseren Tagen statt für das Prinzipat für neuzeitliche Ideale, meistens indirekt.
Direkt thematisiert wurde dies nach dem 2. Weltkrieg in den 50er Jahren mit den Gemälden von
Jackson Pollock, Barnett Newman und Mark Rothko – in diesen Bildern des amerikanischen
abstrakten Expressionismus erkannte man die Ideale der Internationalität, Demokratie und Freiheit –
und so wurden sie auch vermittelt. Mit ihnen begann parallel und Hand in Hand mit der Durchsetzung
US-amerikanisch-westlicher Werte der Siegeszug amerikanischer Kunst in Deutschland und weltweit.

Damit sind wir bei einem weiteren, entscheidenden Punkt: Kultur wirbt vor allem für ein Land, eine
Region oder eine Stadt. Das kann angesichts der Konkurrenz der Städte untereinander eine hervor-
ragende und vor allem nachhaltige Marketing-Chance sein. Das Beispiel Lorenzos – und es gibt derer natürlich noch viele weitere – zeigt jedoch eines ganz deutlich, und das muss man auch laut aussprechen dürfen: Zu bewegen ist hier viel, aber das geht nur mit Entschiedenheit, nur indem man groß denkt und Großes will! Unter diesen Voraussetzungen können tatsächlich kulturelle Höchstleistungen entstehen
und eine Stadt aufblühen.

„Kultur hat es schwer“, schrieb vor wenigen Tagen eine hiesige Zeitung. Kultur ist eben keine
kommunale Pflichtaufgabe, das hören wir immer wieder, sondern freiwillig. Da klingt sinngemäß mit: „Solange wir uns das nicht notwendige, aber schöne Beiwerk leisten können, ist es ja gut, aber in
Zeiten leerer Kassen muss man Kultur im Zweifelsfall einsparen.“

Die Pflichtaufgaben sind allerdings Aufträge, die vorgabengetreu abzuarbeiten sind.
In allen Städten gleich.

Damit werden die freiwilligen Aufgaben zum eigentlichen Herzstücke der Kommunalpolitik.
Nur hier ist Gestaltungsfreiraum vorhanden. Nur hier kann sich eine Stadt profilieren. In diesem
Licht erhält das Wörtchen „freiwillig“ einen anderen, nämlich glücklicherweise positiveren, Klang.

Immer wieder schwingt sie mit, diese Frage: Brauchen wir eigentlich kommunale Kulturförderung?
Ich bin sicher: Würden wir sie nicht brauchen, hätten wir sie schon lange eingespart. Ich kenne jedoch keine noch so kleine, noch so arme Kommune, die kein Geld für Kultur ausgeben würde. Gute Kulturpolitik ist heute noch genauso wie zu Medici’s Zeiten (oder vielleicht auch heute wieder?) mit
das beste Marketing für eine Stadt, mindestens aber liefert sie mit die beste Grundlage für das beste Marketing.

Von der Konkurrenz der Städte war schon die Rede. Demografische Entwicklung und Facharbeiter-
mangel erzeugen einen enormen und wachsenden Druck. Den Wettlauf werden solche Städte für sich entscheiden, die eine hervorragende Infrastruktur, Attraktivität und Lebensqualität haben. Schauen wir
uns die erfolgreichsten deutschen Städte an, so sind es laut diverser Studien immer wieder solche, in
denen wirtschaftlicher Erfolg und High Tech Hand in Hand gehen mit Lifestyle, Toleranz, Kultur und Kreativität: Die dynamische, nicht nur die funktionierende Stadt, ist die Stadt der Zukunft.

In einer Studie der Firma arthesia, die weltweit Städte, Regionen und Organisationen in Kommunikations- und Marketingfragen berät, heißt es: „In einer globalisierten Welt mit einem freien Fluss von Kapital, Menschen und Ideen sind Städte und Regionen zu eigentlichen Produkten geworden; zu Symbolen und Lebensstilen; zu Marken und verkaufbaren Images.“ Als Erfolgsfelder, in denen Standortentwicklung hauptsächlich stattfindet, werden definiert:

1. Technologie

2. Wissen

3. Wirtschaft

4. Kultur – als Träger von Identität, Ideen, Freude, Inspiration und Tradition, aber auch Diskurs,
Reibung und Toleranz

Damit ist Kultur als eine von vier Stützen für die Entwicklung und Vermarktung – beides muss
miteinander verbunden sein – eines Standortes identifiziert.

Ich habe vorhin von „guter Kulturförderung“ gesprochen. Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte kommunale Kulturförderung eher defensive Züge. Für Ausstellungen konnte sich jeder bewerben und wurde jeder gleichwertig „bedient“, für Not leidende Künstler gab es extra Ankaufsgelder (Künstlersozialkasse), und die Arbeit der Behörde bestand zu nicht unmaßgeblichen Teilen darin, Zuschussanträge zu bearbeiten. Eine solche Kulturförderung wäre heute vielleicht tatsächlich überflüssig. Wir brauchen eine Kulturpolitik, die gestaltet. Wir brauchen, wie Lorenzo de Medici, Ziele, Entscheidungen, Konsequenz und Qualität. Gute, sinnvolle Kulturförderung ist entschieden und offensiv.

Wir sind hier in Pforzheim auf dem Weg. In seiner letzten Sitzung des Jahres 2007 hat der Gemeinderat entschieden, dass ein Kulturkonzept entwickelt werden und die Firma ICG Culturplan mit der Moderation und Begleitung des Prozesses beauftragt werden soll. Ziel ist es, Schwerpunkte für die Kulturförderung in dieser Stadt zu definieren, die für die nächsten 10-15 Jahre richtungweisend sein sollen. Auf diese Weise wird Kulturarbeit nachhaltig.

Um am Ende ein tragfähiges Konzept in Händen zu halten, ein Konzept, das von einer großen Mehrheit der Kulturschaffenden und –interessierten auch mitgetragen werden kann, brauchen wir die offene Diskussion. Sie alle sind eingeladen, Ihre Ideen einzubringen. Wir wollen zügig vorankommen, im Sommer sollen die Ergebnisse dem Gemeinderat vorgestellt werden. Stimmt dieser dann zu, so werden wir einen riesigen Schritt vorangekommen sein.

Wenn Sie ein sehr skeptischer Mensch sind, dann sagen Sie jetzt vielleicht: Das ist ja alles schön und gut, aber letzten Endes geht es doch immer nur ums Geld und um die Frage, ob für Kultur mehr Geld bewilligt wird oder nicht. Richtig ist: Ohne Geld nützen die besten Ideen nichts, denn Qualität ist Bedingung, und Qualität hat ihren Preis.

Aber umgekehrt wird eben auch ein Schuh draus: Ohne Konzept, ohne Richtung, ohne Kontinuität ist
das schönste Geld schnell nutzlos vertan.

Der Kulturentwicklungsplan ist nicht nur ein notwendiger Klärungsprozess, der – so hoffen wir – kulturpolitischen Konsens herzustellen vermag. Er hilft uns vor allem auch, die Gestaltung der Kulturlandschaft in einen größeren Zusammenhang zu stellen: Kulturentwicklung ist Wirtschaftsförderung. Kulturentwicklung ist ein Teil der Stadtentwicklung. Wenn wir dies verstehen und vermitteln können, dann werden wir auch Verbündete – und damit Gelder – finden. Und zwar nicht nur in der Stadtverwaltung und im Gemeinderat, sondern auch in der Wirtschaft. Denn wir haben schließlich ein gemeinsames Ziel: Pforzheim als Stadt und Standort zu stärken. Das kann nicht Sache allein der Stadt sein, und es nicht Sache allein der Wirtschaft.

Schließlich möchte ich Ihnen ein paar Leitlinien skizzieren, die in ein Gesamtkonzept einfließen könnten.

Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass wir auf der einen Seite Spitzenangebote brauchen, echte überregionale Highlights, die Pforzheim über Süddeutschland hinaus ins Gespräch bringen. Nicht nur, um Pforzheim zu positionieren, sondern auch um das hiesige Publikum zu gewinnen. Ich kenne keine zweite Stadt, in der die eigenen Bürger so schlecht über ihre Stadt sprechen. Die Erfahrung zeigt: Wenn Menschen von außerhalb herkommen und Gutes über die Stadt reden, wenn die Außenwirkung der Stadt positiv ist, dann wird der Stolz auch der heimischen Bevölkerung geweckt.

Zum anderen müssen wir das fördern, was mit „Flair“, Kreativität, Dynamik beschrieben werden kann: subkulturelle Initiativen, selbständige Kreative usw. – das wird der Stadt ein jüngeres Image geben und steht für Lebensqualität.

Unser wichtigstes überregionales Thema ist natürlich der Schmuck. Schmuck ist engstens mit der Geschichte dieser Stadt verbunden, und wir haben hier drei einzigartige Häuser, die Schmuck zeigen und vermitteln: das Schmuckmuseum, das Technische Museum und die Schmuckwelten. Wer wollte bestreiten, dass dies ein Alleinstellungsmerkmal erster Güte ist? Schmuck wird, da bin ich sicher, auch weiterhin eine zentrale Rolle in unserer Kulturlandschaft spielen. Allerdings brauchen wir hier in regelmäßigen Abständen Highlight-Ausstellungen mit besonderer Ausstrahlung.

Das Schmuck-Thema ist allerdings sehr speziell und spricht dementsprechend ein vergleichsweise kleines Publikum an. Wir sollten das Thema weiter fassen und in den Designbereich hinein erweitern. Ich sage das auch deshalb, weil wir in dieser Stadt eine international herausragende Hochschule für Gestaltung haben. Viele Städte schmücken sich stolz mit dem Titel „Hochschulstadt“, aber nur für wenige ist diese Bezeichnung so treffend wie für Pforzheim, weil nur wenige Städte durch ihre Historie so eng mit ihrer Hochschule verbunden sind.

Eigentlich. Von studentischem Flair ist allerdings in Pforzheim noch wenig zu spüren. Hieran müssen wir arbeiten. Ich denke, der Ansatz, kreatives Potenzial zu unterstützen, ist richtig und wichtig. Junge Designer, die von der Hochschule kommen. Hier Cluster zu bilden, Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten zu schaffen, das hieße, der kreativen Dynamik ein Zuhause in Pforzheim zu geben. Profitieren würden davon die Kreativen selbst, die Bürger und Gäste der Stadt und deren Image. Ein passendes Gebäude dafür könnte möglicherweise das Kollmar + Jourdan-Haus sein. Ein solches Projekt wäre übrigens ein Paradebeispiel für das Miteinander von Kultur- und Wirtschaftförderung, Kultur- und Stadtentwicklung.

Zwei Leuchttürme weisen uns die Richtung: Der eine heißt Ornamenta, und der andere ein Designzentrum, eventuell im Kollmar+Jourdan-Gebäude.

Wir haben aber noch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Das ist die Architektur.

„Pforzheim wurde 1945 total zerstört“, höre ich immer wieder, und oft als Erklärung dafür, dass diese Stadt fortan das Schicksal habe, hässlich zu sein. Nein, meine Herren, so einfach kann es nicht sein. Viel deutsche Städte wurden im Krieg weitgehend zerstört, Dresden und Münster, Stuttgart und, und, und… Entscheidend ist doch, was in den letzten 50 Jahren daraus gemacht worden ist. In Münster beispielsweise war man konservativ, hier wurde die Stadt, wenn auch schlichter als zuvor, aber im großen Ganzen so wieder aufgebaut, wie sie früher war. In Pforzheim wollte man dagegen modern sein, den Neuaufbau den Erfordernissen der modernen Stadt anpassen, neue Formen und Materialien kamen zum Einsatz. Das Ergebnis ist eine Stadt der 50er/ 60er Jahre-Architektur. Natürlich ist nicht alles hervorragend, aber es sind doch einige Gebäude bedeutend zu nennen: Das Reuchlinhaus, der Hauptbahnhof, die Matthäuskirche von Eiermann… Außerdem eine Reihe weiterer weniger spektakulärer, aber qualitätvoller Bauten, die allerdings aufgearbeitet und von überdimensionierten Werbeschildern befreit werden müssten.

Wir kommen an dem Thema Architektur im übrigen nicht vorbei, denn Architektur bestimmt nun einmal entscheidend das Gesicht jeder und auch unserer Stadt. Aber wir haben gute Karten, denn wir haben ein besonderes Potenzial, aus dem wir ein ganz eigenes Thema machen können: Pforzheim als Beispiel moderner Nachkriegsarchitektur.

Schmuck – Design – Architektur: Diese Trias kann den Weg in die Zukunft weisen.

Wir brauchen Kultur und deshalb auch kommunale Kulturförderung. Nicht nur, weil Kultur mit Identität, Fantasie, Lebenssinn, kritischem und kreativem Denken und gemeinschaftlichen Werten zu tun hat, und
wir als Einzelne und als Gemeinschaft von alldem leben. Sondern v.a. auch deshalb, weil Kultur das Potenzial hat, diese Stadt attraktiver und lebenswerter zu machen, ihr Charakter und ein positives Image
zu geben – und dies in wahrhaft nachhaltiger Weise.

Genau das aber brauchen wir für die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt.

Kultur kann deshalb keine Nebensache sein. Auch nicht die schönste Nebensache der Welt.

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