Einführende Gedanken zur Veranstaltung
„Trialog“
im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit 2009

Dr. Isabel Greschat, Kulturreferentin der Stadt Pforzheim

Rede im vollen Wortlaut: Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren,
sehr geehrte Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer,
sehr geehrte Veranstalter,

was heute hier stattfindet, ist in Pforzheim etwas wirklich Neues:
Junge Menschen dreier verschiedener religiöser Bekenntnisse und aus drei entsprechenden
Kulturkreisen sprechen über ihren Glauben und über ihre Lebenswirklichkeit.
So etwas gab es hier noch nicht.

Der Zusammenhang, der Rahmen, hat allerdings schon Tradition:
Die Woche der Brüderlichkeit wird seit 1952 in Deutschland mit gemeinsamen Veranstaltungen
und Gesprächen begangen, in Pforzheim noch nicht ganz so lange.

Wir können uns hier in Pforzheim dafür noch auf eine andere Tradition berufen:
Vor ungefähr 500 Jahren hat Johannes Reuchlin gelebt, ein Pforzheimer, wie Sie wahrscheinlich
wissen. Reuchlin hat ein Buch geschrieben über die Kabbala, in dem er dem Leser den Trialog
der drei großen monotheistischen Religionen nahelegt. Reuchlin hat sich massiv gegen die
Verbrennung jüdischer Schriften gewandt, er hat bei allen Unterschieden den Respekt voreinander
und gleiche Rechte für alle gefordert. Das war vor 500 Jahren eine enorme Leistung.

Hier reden nun keine Theologen und keine professionellen Kirchensprecher, sondern junge Menschen
und Privatleute. Ich finde es beachtlich und großartig, dass Sie sich zu diesem öffentlichen Gespräch
bereit erklärt haben.
Denn: Reden darüber, was wir glauben? Das ist in unser aller Freundeskreisen eher ungewöhnlich,
das ist schwierig. Ein solches Thema scheint vielen von uns ausgesprochen persönlich zu sein.

Aber es soll auch um einen Austausch von Erfahrungen gehen:
Wie wird Ihr Alltag von religiösen Zusammenhängen oder Bräuchen geprägt?
Gibt es Probleme im Zusammenleben mit anderen?
Empfinden Sie sich selbst als anders, und wie gehen Sie damit um?
Was bedeutet Ihnen der Glaube und die Tradition früherer Generationen?

Ich denke, es gibt ganz, ganz viele Fragen, und selten ein Podium, auf dem statt Offizieller „normale“,
junge Menschen sitzen: Ihre Erfahrungen und Gedanken stammen direkt aus Ihrer, d.h. auch unserer Lebenswelt und sind deshalb ungeheuer spannend.

Jeder junge Mensch versucht Antworten zu finden auf Fragen wie:
Wer bin ich?
Wie unterscheide ich mich von anderen?
Wo gehöre ich hin?
Wo oder Was ist meine Heimat?
Was macht mich glücklich?
Wofür lebe ich, was möchte ich erreichen?

Nun ist es ja so, dass man in jeder Kultur Antworten auf solche Fragen finden kann, meistens sogar
eine Vielzahl von Antworten. Ich glaube, niemand geht hin und vergleicht die Antworten aus
verschiedenen Kulturkreisen miteinander, um sich die beste herauszusuchen.
Ich glaube vielmehr, dass jeder erst einmal in seinem eigenen Kulturkreis schaut, was für ihn passt.
Der eigene Kulturkreis ist ein Fundus möglicher Antworten auf die drängenden Fragen des Lebens.
Kultur so verstanden ist daher Heimat, ein ganz wichtiges Stück geistiger und emotionaler Heimat.

Aber es gibt immer mehr Menschen, die in zwei Kulturen aufwachsen, vielleicht geht es dem einen
oder anderen von Ihnen ja auch so.
Und eine für die Zukunft wichtige Frage ist:
Kann man in zwei Kulturen zugleich zuhause sein?
Ist das wünschenswert oder führt dieser Weg in eine innere Zerreißprobe?

Worum kann es gehen, wenn man sich darüber austauscht, woran man glaubt, und welche Werte
man vertreten möchte?
Es kann sicher nicht darum gehen, die anderen davon zu überzeugen, dass die eigenen Antworten,
die eigenen Werte die besten sind.
Es kann aber m.E. auch nicht nur darum gehen, Gemeinsamkeiten festzustellen. Die sind sicher da
und es ist wichtig und hilfreich sich darüber zu verständigen.

Aber:
Wenn ein Gespräch über Glauben und Werte Sinn machen soll, dann muss man selbst Position
beziehen, dann muss man Unterschiede und eben auch Konflikte ansprechen. Vor einigen Tagen habe
ich von dem iranischstämmigen Autor Navid Kermani einen Erfahrungsbericht über sein Leben in Deutschland gelesen; darin schreibt er: „Gelernt habe ich, dass Integration dort gelingt, wo die heimische Kultur nicht schamhaft in den Hintergrund gerückt wird, sondern gepflegt und selbstbewusst vertreten
wird. Aus Furcht vor den Reaktionen muslimischer Eltern nicht mehr Advent zu feiern, wie es in
manchen Kindergärten oder Schulen geschieht, ist mit Sicherheit das falsche Signal. Es geht nicht darum, sich selbst zu verleugnen, sondern den anderen in seiner Andersartigkeit zu achten. Wer sich selbst nicht respektiert, kann keinen Respekt erwarten.“
Das gleiche kann man über das interreligiöse oder interkulturelle Gespräch sagen.

Toleranz heißt nicht, dass ich alles toll finde, was der andere denkt und tut, es heißt auch nicht, dass
es mir gleichgültig sein darf; Toleranz heißt vielmehr, Unterschiede auszuhalten, auch wenn es
manchmal schwer fällt. Aber dafür muss ich erst einmal wissen, was uns überhaupt unterscheidet.
Der Trialog schafft überhaupt erst einmal die Grundlage für Respekt und Toleranz.
Und deshalb ist er so wichtig!

Dass das Gespräch heute Abend einen so persönlichen Charakter hat, ist ,
glaube ich, eine große Chance.

Die Versöhnung zwischen Christen (Deutschen) und Juden konnte nur wachsen, weil sie in vielen
Städten und Gemeinden vor Ort gelebt worden ist, d.h. getragen worden ist von persönlichen Begegnungen, Gesprächen und Freundschaften. Wenn wir uns anschauen, was wir erreicht haben
in den letzten 60 Jahren, dann ist das unglaublich ermutigend: Wer hätte 1949 denn für möglich
gehalten, dass so etwas möglich sein könnte: Versöhnung, Miteinanderleben, Miteinanderreden?

Gespräche schaffen Beziehungen. Beziehungen brauchen Gespräche.

Ich bin jetzt sehr gespannt auf den Trialog heute abend, und ich kann mir vorstellen, dass wir
am Ende feststellen, dass wir noch viel mehr solcher Gespräche brauchen.

Vielen Dank.

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