Vortrag Carsten von Zepelin
anlässlich der Jahreshauptversammlung der Löblichen Singergesellschaft von 1501 Pforzheim
am 06.01.2012 im CongressCentrum Pforzheim
Sehr geehrte Herren Obermeister, sehr geehrten Herren,
jüngst hat mir ein aus dem Rheinland stammender Investor für Einzelhandelsimmobilien anlässlich eines Besuches in Pforzheim mitgeteilt, dass er mir zwar nicht zu nahe treten wolle, man jedoch einfach sehen müsse, dass in Investorenkreisen Pforzheim als eine der hässlichsten Städte Deutschlands gelte! Als Pforzheimer schluckt man da schon und wendet vielleicht ein, dass man das so ja nicht sagen könne, dass es – wenn man lange genug sucht oder sich auskennt – ganz zauberhafte Stellen und Plätzchen gibt, dass wir 3 Flüsse und ganz viel Grün haben und man z.B. in der Südstadt, am Wartberg oder im Rod auch sehr schön wohnen kann…
Oder man gehört zu den nicht Wenigen, die dem Besucher unserer Stadt zu dessen nicht geringer Verblüffung geradezu begeistert beipflichten. Diejenigen, die das tun, sind – wie wir wissen – in der Regel „echte“ Pforzheimer, also keinesfalls Zugereiste. Der Zugereiste mag in seinem Urteil über die Schönheit der Stadt sicherlich auch kein „Rothenburg ob der Tauber“ identifiziert haben, er begreift sich aber dann durchaus als Pforzheimer mit der natürlichen Einsicht, dass man seine eigene Stadt nicht in die Pfanne haut. Er wiegt Stärken und Schwächen sachlich ab und kommt am Ende zu einem durchaus lokalpatriotisch gefärbten, positiven Gesamtergebnis. „Doch, doch, hier lässt es sich eigentlich ganz gut leben“.
Ein „hässlich“ kommt ihm kaum über die Lippen.
Warum das so ist, seit wann das so ist – darüber wurde und darüber wird trefflich spekuliert und die
Frage ist doch die, wann das einmal aufhört. Vielleicht hört es ja nie auf, vielleicht gibt es so eine Art genetischen Code, in dem diese Pforzheimer Bräsigkeit, die viel besprochene Bruddelei unabänderlich angelegt ist?
Historischer Marktplatz Pforzheim
Es ist dieser Stadt natürlich nicht vorzuwerfen, dass sie in dieser schrecklichen Nacht des
23. Februar 1945 nicht nur ihre Schönheit verloren hat, sondern beinahe aufgehört hat zu existieren.
Dass der Wiederaufbau angesichts des Ausmaßes der Zerstörung ernsthaft fraglich erschien.
Historische Rossbrücke Pforzheim
Dass vieles, was dann – vornehmlich beim Wohnungsbau – in der Not, unter Zeitdruck und ohne
viel Geld wieder errichtet wurde von keinem großen Wert ist.
Es ist dieser Stadt auch nicht vorzuwerfen, dass sich die Verantwortlichen nach der Zerstörung entschlossen haben, eine “moderne“, eine „autogerechte Stadt“ zu bauen.
Viele Gebäude wurden in der Folge als zeitgemäße Repräsentations-Gebäude errichtet:
Foto links: Der Hauptbahnhof Pforzheim, Foto rechts: das ehemalige Hauptpostamt Pforzheim
Foto links: das Reuchlinhaus Pforzheim, Foto rechts: Eiermann-Kirche im Arlinger
Das Amtsgericht Pforzheim
der Hauptbahnhof, das Hauptpostamt, das Reuchlinhaus, das Amtsgericht, die Eiermann-Kirche
im Arlinger – um nur einige wenige zu nennen. Gebäude, die heute unstreitig über ein Höchstmaß
an architektonischer Qualität verfügen, für Ihre Zeit stehen und geeignet sind (oder wären?) für Identifikation und ein städtisches Ganzes zu stehen. Sieht man einmal vom Reuchlinhaus ab, dessen
50-jähriges Bestehen wir gerade gefeiert haben und das in den Herzen der Bürger allmählich ange-
kommen ist, hat eine Identifikation mit diesen beispielhaft genannten Exponaten der Nachkriegsjahre
nicht stattgefunden und erst allmählich gerät positiv ins Bewusstsein, das Pforzheim eine Stadt der
50er-Jahre ist, eine Stadt der Moderne mit ihren bis heute oft unterbewerteten und zum Teil auch im
Laufe der Jahre entstellten Gebäuden. Und erst allmählich entwickeln wir den Blick auf die manchmal
spröde Schönheit unserer gebauten Umgebung.
Es ist der Leiterin des Kulturamtes der Stadt Pforzheim, Dr. Isabel Greschat, zu verdanken, dass sie
mit der jüngst erfolgten Herausgabe des Buches „Visionen für eine Stadt – 50er-Jahre-Architektur in Pforzheim“ nicht nur ein sehr empfehlenswertes zeitgeschichtliches Dokument sondern auch einen
Beitrag zur Verbesserung städtischen Selbstbewusstseins geleistet hat.
Foto links: Treppenhaus Amtsgericht, Foto rechts: Wandskulptur am ehem. Hauptpostamt
Pforzheim muss sich rückblickend selbstkritisch sagen, dass es sich mit der Verabschiedung des
zerstörten Alten eine Identifikation, ein Annehmen des gebauten Neuen scheinbar selbst verboten
hat. Wäre nicht der Denkmalschutz mit seinem eher nüchternen, wissenschaftlichen Ansatz, hätten
sich die Pforzheimer vielleicht schon wieder von so manchem getrennt, was doch eigentlich ihre Stadt
ausmachen könnte. Wäre jedoch nicht die emotionale Bindung der Bürger zu ihrer gebauten Stadt
der beste, der natürlichste Denkmalschutz?
Es ist also eine gewisse und zur unguten Tradition gewordene Gleichgültigkeit, die teilweise bis heute
den Umgang mit dem Gebauten und mit dem Bauen in dieser Stadt prägt. Positive Einzelbeispiele
ändern an diesem Eindruck nichts.
Erst in jüngster Vergangenheit und in der Gegenwart sind Tendenzen festzustellen, die neben dem Einräumen des ihr gebührenden Stellenwertes der 50-er-Jahre-Architektur, auf eine nachhaltige Veränderung einer im Wortsinne positiven Baukultur hoffen lassen. Was aber heißt eigentlich
Baukultur? Gestatten Sie mir an dieser Stelle ein etwas ins akademisch gehendes Zitat in dem wir
uns Pforzheimer aber in diesem Kontext durchaus wiederfinden können:
In der Einleitung zum 2009 erschienenen Buch „Baukultur. Spiegel gesellschaftlichen Wandels“
schreiben die Autoren Werner Durth und Paul Sigel nämlich: „Kaum ein anderer Begriff wurde
in den Architektur- und Planungsdebatten derart strapaziert, so vieldeutig und missverständlich,
oft auch polemisch und strategisch verwandt wie der Begriff der Baukultur. Seine fragwürdige
Karriere verdankt er dem offensichtlichen Mangel an dem, was er umschreibt und erwarten
lässt, dem beklagten Mangel an menschenfreundlicher Gestaltung einer gebauten Umwelt, die
den vielfältigen Bedürfnissen ihrer Bewohner entspricht, von ihnen gepflegt und vielleicht
sogar geliebt wird, weil sie jenseits aller Nützlichkeit durch ihre Schönheit berührt,
Geborgenheit bietet und mehr verspricht als eine notdürftige Behausung auf Zeit an wechselnden
Orten.“ (Zitat Ende)
Ich sprach eben davon, dass meines Erachtens Entwicklungen und Tendenzen zu beobachten sind,
die auf eine Veränderung zum Positiven hindeuten. Ich will dies unter anderem am Beispiel der Konversionsmaßnahme Tiergarten und am Beispiel des Gestaltungsbeirates der Stadt Pforzheim verdeutlichen:
Foto: frühere Buckenberg-Kaserne,
Mit dem Wohnkonzept Tiergarten auf dem Gelände der früheren Buckenberg-Kaserne, das unter
der Federführung der Stadtbau Pforzheim in Zusammenarbeit mit der Sparkasse Pforzheim Calw,
den Stadtwerken, den Pforzheimer Wohnungsunternehmen und einem privaten Gesellschafter entsteht, wird eine schon jetzt ablesbare Vision Wirklichkeit.
Einkaufszentrum Tiergarten
Es entsteht ein bundesweit einzigartiges Bebauungs-Projekt, das die vielfältigen Aspekte von
Architektur und Natur sowie Individualität und Gemeinschaft auf besondere Weise in Einklang bringt.
Es entsteht ein lebendiges Quartier von besonderer städtebaulicher und architektonischer Qualität,
eine wohldosierte Kombination von Wohnen für Jung und Alt, Einkaufen, Arbeiten, Bildung und Forschung, Naherholung und Freizeit.
Einfamilienhäuser im Tiergarten
Die Einbindung der Natur in die Erschließung wird durch den weitgehenden Erhalt des Baumbestandes
und das organische Straßensystem unterstützt. Es passt sich dem natürlichen Gelände an und ermöglicht das Wohnen in einer Parklandschaft. Ein separates Fußwegenetz ermöglicht den Weg zum Einkaufen,
in die benachbarten Quartiere, zur Hochschule oder auch in das unmittelbar angrenzende Naherholungsgebiet.
Foto links: Einfamilienhäuser im Tiergarten, Foto rechts: ServiceWohnen im Tiergarten
Damit der Tiergarten aber die beabsichtigte, unverwechselbare Identität bekommt, die im Zusammen-
spiel von Natur und Architektur einen einzigartigen Teil unserer Stadt schafft, muss jeweils die Nachbarschaft dieser Idee folgen. Deshalb gibt die Konversions-Gesellschaft den Bauherren ein Gestaltungshandbuch an die Hand.
Es wurde von namhaften Architekten und Landschaftsarchitekten erarbeitet, um eine durchgängige Architektur und Außenanlagengestaltung sicherzustellen.
Foto links: Filialdirektion Sparkasse Pforzheim Calw im Tiergarten, Foto rechts: Einfamilienhaus im Tiergarten
Für viele Bereiche werden darin Möglichkeiten und Varianten der Gestaltung aufgezeigt, die nach
Bedarf in die individuelle Planung mit einbezogen wird. Es gibt klare, allgemein festgelegte und
verbindliche Regelungen. Die Empfehlungen und sogenannten „Gebote“ werden in dem Gestaltungshandbuch anschaulich erläutert und illustriert und sind wesentlicher Bestandteil dafür,
dass sich jeder neue Bewohner im Tiergarten wohlfühlt. Denn was für ihn gilt, gilt auch für seinen Nachbarn.
Foto links: Studenten-Apartements im Tiergarten, Foto rechts: Waldspielplatz im Tiergarten
Über die Einhaltung der Regeln und Gebote wacht der Gestaltungsbeirat, der sich aus dem Kreis
der Gesellschafter unter Hinzuziehung eines freien Architekten, der die Bauherren auch berät, zusammensetzt. Erst wenn ein Bauprojekt den Gestaltungsbeirat passiert hat und ein sogenannter Gutbefund erteilt wurde, kann das Grundstück vom Bauherrn erworben werden. Im Grundstückskaufvertrag sind dann die Regeln und Gebote Teil der verbindlich geltenden privat-
rechtlichen Vereinbarungen.
Man könnte diese Vorgehensweise auf den ersten Blick als eine rigide Gängelung der Bauwilligen auffassen. Die Erfahrung aus bis jetzt rund 70 Grundstücksverkäufen zeigt jedoch, dass die Gestaltungsregelungen am Beginn des Interesses vielleicht skeptisch, im Verlauf des Verfahrens
jedoch durchweg positiv empfunden werden.
Foto links: Alte Schmiede, Foto rechts: Alte Schmiede innen
Es wird gewährleistet, dass ein Baugebiet von hoher städtebaulicher und architektonischer Qualität
aus einem Guss entsteht. Bei der Individualität die jedem Bauherrn verbleibt, hat dies jedoch nichts
mit Uniformität zu tun. Inzwischen stellt die Konversionsgesellschaft fest, dass vermehrt Bauwillige
mit hohen Architektur-Ansprüchen auf das Baugebiet Tiergarten aufmerksam werden.
Apropos Uniformität: die meisten von Ihnen werden sich an die Entstehung des damals sogenannten „Demonstrativbauvorhabens Sonnenhof“ erinnern.
Einige von Ihnen werden dort gewohnt haben oder wohnen noch dort, ich selbst habe meine letzten
Jahre im Elternhaus dort verbracht. Dort gab es im Wesentlichen 3 Einfamilienhaus-Typen, die alle
exakt gleich aussahen, die alle weiß waren, alle ein Flachdach haben und alle in einer Richtung
aufgestellt sind. Das hat damals niemand beklagt und individuelle Gestaltungswünsche hatten sich
auf das Innere zu beschränken. Der Sonnenhof wurde ab Ende der 60er-Jahre bis in die 80er-Jahre
in der Folge für einen breiten Mittelstand vom Handwerksmeister bis zum Oberbürgermeister zur Möglichkeit Wohneigentum zu bilden und zu einem außerordentlich beliebten und sozial hoch intakten Stadtteil, auch weil der Eigentumsanteil im Vergleich zum Mietanteil weit überwogen hat. Heute sehe
ich in Teilen mit großem Bedauern, dass sich der Stadtteil verändert. Er verändert sich natürlich auch,
weil die demographischen Veränderungen auch vor diesem Stadtteil nicht Halt gemacht haben und Wechsel und Wandel etwas völlig Normales sind.
Der Stadtteil verändert sich aber vor allem, weil sich niemand, beispielsweise durch den Erlass einer Gestaltungs- und Erhaltungssatzung wie z.B. in der Wartberg-Siedlung, um die Bewahrung des ursprünglichen Gesamtbildes gekümmert hat. So werden heute Häuser beliebig farbig gestaltet, es
wird angebaut und umgebaut was das Zeug hält und der Stadtteil verliert allmählich seine für die
damalige Zeit typische Städtebau- und Architekturaussage. Dresden-Hellerau oder die Margarethen-
höhe in Essen, die heute jeweils dadurch bezaubern, dass Ihr ursprünglicher Charme erhalten wurde, waren auch nicht immer alt.
Doch zurück zum Tiergarten: der Erlass von Gestaltungsgeboten, das Institut des Gestaltungsbeirates, die Beratung der Bauherren und die Überwachung dessen was gebaut und gestaltet wird ist seitens der Konversionsgesellschaft mit hohem Aufwand verbunden und es bedarf eines langen Atems um diesen neuen Stadtteil im Sinne der ursprünglichen Intension gelingen zu lassen. Wir gehen davon aus, dass sich die Umsetzung des Stadtteiles vom Abbruch der Kaserne bis zum Bezug des letzten Einfamilienhauses auf einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren erstrecken wird. Gerade deshalb darf aber in der Konsequenz nicht nachgelassen werden, damit es am Ende als durchgängig gelungen bezeichnet werden kann. Ich bin der Überzeugung, dass es sich lohnt. Der Tiergarten strahlt schon jetzt auf anstehende und zum Teil auf bereits beschlossene Bebauungspläne aus, in dem es beispielsweise aus dem Planungsausschuss an die Stadtverwaltung gerichtet heißt: „mehr Tiergarten, bitte!“.
Die Konversionsmaßnahme und die hierbei gemachten Erfahrungen sind alles in allem geeignet, künftig mit der Bauleitplanung in diesem Sinne umzugehen und auch auf diesem Weg für ein erhebliches Stück mehr Baukultur zu sorgen. Der Tiergarten kann ein Wendepunkt sein.
Gestaltungsbeirat der Stadt Pforzheim
Zur Unterbindung von – wie es seinerzeit hieß – „städtebaulichen und architektonischen Fehl-
entwicklungen und zur Verbesserung der architektonischen Qualität in Pforzheim“ hat der
Gemeinderat nach längerer Diskussion im Dezember 2008 die Einführung eines Gestaltungsbeirates beschlossen (nicht zu verwechseln mit dem Gestaltungsbeirat Tiergarten).
Ziel des Gestaltungsbeirates soll es sein, Vorhaben, die aufgrund ihrer Größe, Lage und Bedeutung stadtbildprägend sind, zu beraten und zu begleiten.
Ich darf vorwegnehmen, dass die Einführung des städtischen Gestaltungsbeirates sicherlich eine der segensreichsten Einführungen der vergangenen Jahre in einer auch ansonsten an Arbeitskreisen nicht
armen Stadtverwaltung ist.
Der Gestaltungsbeirat tritt 4 bis 5 mal jährlich zusammen, die Sitzungen finden in der Regel öffentlich
statt. Die vorgestellten Planungen werden gemeinsam mit Bauherren und Architekten erörtert.
Der Gestaltungsbeirat
Bereits vor der Sitzung informieren sich die Gestaltungsbeiräte im Zuge einer Ortsbesichtigung und
anhand der Pläne über die anstehenden Projekte. Der Gestaltungsbeirat fasst das Ergebnis der
Beratung zur Beurteilung des vorgelegten Bauvorhabens in einer schriftlichen Stellungnahme zusammen,
die dem Bauherrn übermittelt wird.
Sollte ein Vorhaben nicht die Zustimmung des Beirates erhalten, dann werden Architekt und Bauherrn Hinweise für die weitere Bearbeitung gegeben und es erfolgt eine erneute Vorstellung.
In der städtischen Beschlussvorlage von 2008 hieß es: „mittels Beratung durch qualifizierte, objektive
und unbeeinflusste Fachleute soll gemeinsam mit Bauherren und Planverfassern eine optimale Lösung gefunden werden“.
Das hört sich zunächst einmal gut an, steht und fällt jedoch ganz und gar mit der Zusammensetzung
des Beirats und den darin vertretenen Einzel-Persönlichkeiten. Und hier hat die Stadt Pforzheim
eine außerordentlich glückliche Hand bei der Zusammenstellung des Gremiums bewiesen.
Der aus 5 unabhängigen, neutralen und externen Personen unter dem Vorsitz von Prof. Fritz Wilhelm bestehende Beirat – den wie sie die Pforzheimer Zeitung genannt hat „5 Weisen der Architektur“ –
ist mit Architekten und Städteplanern von außerordentlich hoher Fachlichkeit und – was in unserem
Falle mindestens eben so viel wiegt – mit einem ganz hohen Maß an Einfühlungsvermögen und
Diplomatie ausgestattet. Sie müssen sich vorstellen, dass der Gestaltungsbeirat praktisch keinerlei rechtliche Handhabe hat, sondern sich lediglich beratend mit den Bauherren nach Einreichung des Baugesuches auseinandersetzt. Umso erstaunlicher ist es, dass das Gremium bis jetzt ganz beachtliche Erfolge vorweisen kann, ja sogar zu so etwas wie einer „Moralischen Instanz“ in Fragen
architektonischer Qualität geworden ist. Niemand der als Bauherr und Architekt etwas auf sich hält,
will es sich leisten, vor dem Gestaltungsbeirat nicht bestehen zu können.
Eines der Beispiele für die wirklich segensreiche Wirkung des Gestaltungsbeirates ist die inzwischen erfolgte Umsetzung einer Filiale einer amerikanischen Burger-Kette in der Nähe der Autobahnschluss-
stelle Pforzheim-Nord. Sehen Sie selbst: geplant war zunächst die Ausführung der uns allen gegen-
wärtigen Filial-Optik mit Pagodendächern. Niemand – auch aus dem Konzern nicht – weiß eigentlich,
was diese asiatisch anmutende Applikation eigentlich soll. Sie kennen das: in Verbindung mit nach Kunststoff aussehenden Materialien, entsprechender Farbgebung und dem unvermeidlichen Kletterturm entsteht eine zwar unverwechselbare aber gestalterisch auch unerfreuliche Optik.
Inzwischen ausgeführt wurde dann dieser Entwurf, der sich doch wohltuend von dem unterscheidet,
was ursprünglich einmal aus dem McDonalds-Regal kommen sollte. Eine unaufgeregte, geradlinige,
der Funktion folgende Architektur, die der Umgebung nicht weh tut und die insgesamt auch dank wertigerer Materialien jetzt seriös daher kommt. Interessant war, dass die Architekten des Bauherren diesen neuen und doch gänzlich anderen Entwurf schon beim zweiten Termin im Gestaltungsbeirat
dabei hatten. Sie hatten verstanden, was Pforzheim an dieser Stelle wollte und an diesem Vorgang
wird deutlich, über welche Autorität der Gestaltungsbeirat verfügt.
Nochmals: dieses Gremium ist seiner Funktion und seiner Besetzung nach ein Glücksfall und ein Quantensprung für unsere Stadt in der Artikulierung hoher Qualitätsansprüche. Übrigens – und hier
komme ich wieder auf den Anfang meiner Ausführungen zurück – die Mitglieder des Gestaltungsbeirates sind inzwischen ausgesprochene Pforzheim-Fans, eines Pforzheims mit all seinen Facetten. Es sind halt Auswärtige!
Verwaltungsgebäude der Stadtbau GmbH Pforzheim
Neben dem zuvor Beschriebenen möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass es ein Reihe höchst
erfreulicher Einzelmaßnahmen gibt, die im Sinne hoher Qualität geeignet sind, zu einer neuen Baukultur beizutragen und sich in das Bewusstsein und vielleicht auch in den Herzen der Pforzheimer einzuprägen.
Im Bahnhofs- und Schlosspark-Areal zum Beispiel entstand und entsteht eine Gruppe unterschied-
lichster Architektur-Solitäre mit dem Gebäude der Stadtbau, einem Entwurf des Architekten und
Singers Stephan Jung,
Il Tronco
dem spektakulären „Il Tronco“ von Michele de Lucchi, dem Anbau des Amtsgerichts von
Arno Lederer, dem Gebäude der Pforzheimer Bau und Grund von Luigi Snozzi, dem Neubau des
Hilda-Gymansiums und den wunderschönen Exponaten der 50-Jahre: Amtsgericht, Hauptbahnhof
und ehemalige Hauptpost.
Illustration Busbahnhof
Und wenn dann noch – wie ich finde, das für „Design made in Pforzheim“ stehende – Überdachungs-Bauwerk des neuen Busbahnhofes hinzukommt, werden in naher Zukunft die Besucher unserer Stadt
aus dem Bahnhof treten und überrascht sein, was Pforzheim neben den 50-er-Jahren an überraschender und erfrischender zeitgenössischer Architektur von hoher Qualität bereit hält. Dieses Architektur-
Ensemble am Bahnhof kann meines Erachtens in Zukunft Anziehungspunkt für Architektur-Interessierte
aus Nah und Fern sein.
Auch die Wohnungsunternehmen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer mit Ruhm bekleckerten, haben erkannt, dass Architektur-Qualität auch im Sinne nachhaltiger Wirtschaftlichkeit
die richtige Strategie ist. So sind z.B. am Weiherberg und in der Pforzheimer Nordstadt jüngst jeweils
mit Architekturpreisen belohnte Wohnungsbauvorhaben entstanden, die Stadtbausteine im Sinne einer wiedererlangten Baukultur sind.
Pforzheim bemüht sich derzeit nachzuholen, was im Bereich der Ansiedlung neuer Unternehmen und
in der Bereitstellung von Erweiterungsflächen für bestehende Unternehmen jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Der auch deshalb immer noch andauernde Strukturwandel mit all seinen Folgen belastet auf
das Härteste die Finanzen und das soziale Gleichgewicht unserer Stadt. Deshalb ist es wichtig und
richtig, dass wir in der Bereitstellung entsprechender Flächenkapazitäten fortfahren um Arbeitsplätze
an den Standort zu binden und notwendige Gewerbesteuereinnahmen sicherzustellen. Eine meines Erachtens ebenso realistische Option für Pforzheim ist es jedoch, künftig noch mehr attraktiver
Wohnort für Menschen zu sein, die in den Verdichtungsräumen um Stuttgart und Karlsruhe arbeiten
und ich wünsche mir, dass wir künftig den Wohnstandort Pforzheim aktiv vermarkten.
In unseren großen Nachbarstädten wird der Raum immer enger und die Preise steigen ständig.
Pforzheim verfügt über eine gute Verkehrsanbindung, eine landschaftlich reizvolle Situation, ein hervorragendes Schul- und ein sehr attraktives Kulturangebot. Die Preise zu denen in Pforzheim
gemietet oder gekauft werden kann, liegen spürbar unter den Preisen in den genannten Städten.
Damit dies gelingt, braucht es jedoch ein attraktives Stadtbild, eine lebendige und mit Aufenthaltsqualität versehene Innenstadt und ein entsprechendes Angebot an Grundstücken und Wohnraum.
Sie sehen: Baukultur ist ein Standortfaktor!
Fußgängerzone Pforzheim
Apropos Innenstadt: Wir sind uns sicher einig, dass es so wie es ist nicht bleiben kann. Denn zu einer lebendigen und interessanten Stadt gehört eine attraktive City. Es sind Jahrzehnte vergangen, in denen
man den Dingen ihren Lauf ließ, in denen man hoffte, dass der Markt Selbstheilungskräfte generiert
und in denen das Pflegen wechselseitiger Ressentiments zwischen Stadt und Einzelhandel zum üblichen Ritual gehört hat. Verwaltung und Gemeinderat haben nun endlich anerkannt, dass aktiv gegengesteuert werden muss. Der Gemeinderat hat als eine der Maßnahmen mit großer Mehrheit ein Märkte- und Zentrenkonzept beschlossen, dass eine konsequente Priorisierung der Innenstadt vorsieht. Oberbürgermeister Hager hat überdies die im Tiergarten erfolgreich agierende Konversionsgesellschaft Buckenberg beauftragt, sich konkret um die Entwicklung ausgesuchter Innenstadt-Areale zu kümmern. Hierbei gibt es Hoffnung machende Ansätze, über die allerdings jetzt noch nicht gesprochen werden
kann.
Ich habe versucht, Ihnen Entwicklungen zu beschreiben, von denen ich glaube, dass sie geeignet
sind zu einer neuen Baukultur in unserer Stadt beizutragen.
Ich glaube, dass sie Anzeichen sind für ein Aufbrechen der eingangs beschriebenen Gleichgültigkeit,
für eine Änderung im Denken und im Umgang mit Architektur und für eine Kultur der Wertigkeit und
der Ästhetik, die vielleicht sogar dazu führt, dass die Pforzheimer wieder zu Ihrer Stadt stehen und sie lieben, so wie es andernorts Menschen ja auch tun. Dafür braucht es eine in diesen Fragen sensible Bevölkerung, mutige Investoren, unsere besten Architekten und einen Gemeinderat und eine Verwaltung
in der der Stadtplanung der Stellenwert verliehen wird, den sie hierzu braucht: nämlich erste Priorität.
Manches ist begonnen und auf gutem Weg.
Ich wünsche Ihnen allen – und unserer Stadt in diesem Sinne – ein gutes neues Jahr und danke Ihnen
für Ihre Aufmerksamkeit!
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