Bericht Matinee zur Stadtgeschichte
Sonntag, 30. September 2012

Siedlungsbau der 20er Jahre in Pforzheim
mit
Kunsthistorikerin Christina Klittich M.A.

Die frühen 20er Jahre waren geprägt von Hunger, niedrigem Lebensstandart, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Inflation. Bedingt durch die große Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg entstanden Anfang der 20er Jahre auf dem Buckenberg, dem Wartberg und im Arlinger neue Siedlungen. Sie wurden am Stadtrand mitten im Grünen angelegt. Kennzeichnend für die Siedlungen war die Verwendung regionaltypischer, vor Ort vorhandener Materialien wie Kalkstein und Sandstein.

Der Wohnungsmarkt nach dem Ersten Weltkrieg

Im Mai 1918 hatten in Pforzheim 5,3 % aller Wohnungen leer gestanden. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, der Heimkehr der Soldaten und Kriegsgefangenen, mit der überdurchschnittlichen Neugründung von Familien verwandelte sich der Wohnungsüberschuss innerhalb kurzer Zeit in eine
große Wohnungsnot.

Private Bautätigkeit gab es wegen der hohen Baukosten kaum. Jeder Ort, der irgendwie bewohnbar erschien, musste genutzt werden. Um möglichst rasch Wohnungen zu beschaffen, ließ die Stadtverwaltung mit Hilfe von Baukostenzuschüssen private Rohbauten, die während des Krieges zum Erliegen gekommen waren, fertigstellen. Bei der Vermietung mussten die Familien von Kriegsteilnehmern, Kriegsgeschädigten und Gefallenen bevorzugt werden. Eine weitere Maßnahme zur schnellen Beschaffung von Wohnraum war der Bau von Notwohnungen, u.a. im Rathaus, im Elektrizitätswerk sowie in verschiedenen Schulhäusern.

Die Stadt baute einige Mehrfamilienhäuser u.a. in Brötzingen und beim Gaswerk. Im Juli 1919 wurde auf Initiative der Kommune die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Pforzheim Stadt, heute Pforzheimer Bau und Grund, gegründet, die den Siedlungsbau mit Kleinwohnhäusern am Buckenberg und Wartberg vorantreiben sollte. Im Stadtteil Brötzingen entstand auf Betreiben mehrerer gemeinnütziger Baugesellschaften die Gartenstadt Arlinger. In den Siedlungen sollten vor allem Einfamilienhäuser entstehen. Denn die Stadtverwaltung war der Meinung „(… dass) ein sehr großer Teil der minderbemittelten Bevölkerung ein Haus zum Alleinwohnen mit einem kleinen Gärtchen (anstrebt), und gern bereit (ist), die hiermit verbundenen Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen. Dazu gehört vor allem der größere Weg zur Arbeitsstätte. Um diesem berechtigten Streben mit seinem genug bekannten guten Einfluß auf die Wohn- und Lebensweisen entgegenzukommen, beabsichtigt die Stadtverwaltung in den entferntesten Stadtteilen der Stadt kleinere Einfamilienhäuser (…) zu erstellen.“

Die Pforzheimer Baugesellschaften und Baugenossenschaften

Bei der Beschaffung von Wohnraum in den frühen 20er Jahren spielten die Pforzheimer Baugenossenschaften und Baugesellschaften eine entscheidende Rolle.

1909 schloss sich auf Initiative von Carl Hölzle eine Gruppe Gleichgesinnter zusammen, die in der stark anwachsenden Stadt Pforzheim für einkommensschwache Bevölkerungschichten neue Wohnungen bauen wollten. Aber erst 1914 kam es zur Gründung der Bau- und Spargenossenschaft Pforzheim eGmbH, der heutigen Arlinger-Baugenossenschaft. Zunächst erstellte die Genossenschaft einen Sportplatz samt Sportheim am Ispringer Pfad. Eine weitere Bautätigkeit verhinderte der Erste Weltkrieg, da ein Großteil der Gesellschafter zum Militärdienst eingezogen wurde. Erst 1920 konnte mit dem eigentlichen Wohnungsbau begonnen werden.

Am 9. Juli 1919 wurde die Gemeinnützige Baugesellschaft Pforzheim-Stadt gegründet. Die Gemeinnützige Baugesellschaft wollte „(…) auch dem geringst Entlohnten den Weg zu einem Eigenheim eröffnen, weil die Jetztzeit mehr wie jede andere dazu angetan sei, auf einen sozialen Ausgleich hinzuwirken und jedem Volksgenossen die Voraussetzung für eine freie, gesunde Entwicklung in geistiger, körperlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu geben.“

Ein Hauptanliegen der Gemeinnützigen Baugesellschaft Pforzheim-Stadt war es, die geplanten Siedlungen in verschiedenen Stadtteilen anzulegen und zwar vor allem am Stadtrand, weil hier die Geländepreise niedrig waren und Gärten angelegt werden konnten. Die Stadt stellte der Baugesellschaft auf dem Buckenberg 250 Ar Baugelände für 2 Mark pro qm und 270 Ar Baugelände auf dem Wartberg für 2,50 Mark pro qm zur Verfügung. Außerdem erwarb die Kommune von der Ziegelei Vetter über 6 Hektar Gelände im Arlinger, das sie der Gemeinnützigen Baugesellschaft für 2,90 Mark pro qm überließ. Am Wartberg konnte die Baugesellschaft weiteres Baugelände erwerben. Sofort wurde mit den Vorbereitungen zum Bauen begonnen.

Die Siedlungen

Über die neu erbauten Stadtrandsiedlungen im Arlinger, am Wartberg und am Buckenberg heißt es 1922: „Schmucke Ein-und Zweifamilienhäuser sind hier in bodenständigen einfachen Formen und bodenständigem Material erstellt. Sichtbares, rauh gefugtes Bruchsteinmauerwerk – teils roter Sandstein, teils Kalkstein, wie er gerade in der Nähe der Baustelle gefunden wurde – im Erdgeschoss, die Ober- und Dachgeschosse geschindelt oder verbrettert, das Ganze mit rotem Ziegeldach, so stellen sich dem Auge die Siedlungshäuser dar, ins Grün vorhandener alter Obstbaumbestände eingebettet. Kleintierställe fehlen nicht.“

Bis Ende 1925 lebten bereits 551 Personen in der Gartenstadt Arlinger. In der Wartbergsiedlung war Wohnraum für 750 Menschen geschaffen worden und in der Buckenbergsiedlung sogar für 1.063.

Die Siedlungen wurden zum Teil auf der Grundlage der Reichsheimstättengesetzgebung erstellt. Das Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920 war eine besondere Art der Eigenheimförderung, die das Ziel hatte, Eigenheime für einkommensschwache Bevölkerungsschichten zu schaffen. Nach diesem Gesetz waren als so genannte Heimstätter „Kriegsbeschädigte sowie Witwen, der im Kriege Gefallenen, und kindereiche Familie vorzugsweise zu berücksichtigen.“

Die Gartenstadt Arlinger

1921 hieß es über die Gartenstadt Arlinger in der Presse: „Es sind hier etwa ein Dutzend Häuser schon gebaut oder noch im Bau, welche nicht nur einen sehr gefälligen, sondern auch einen schicken Eindruck machen. Der Unterbau ist durchgängig in haltbarem Bruchsteinmauerwerk hergestellt und die Häuser sind nicht zu klein und nicht zu puppig geraten. Ein großer Vorzug ist die Lage, so nahe der Stadt. Eine gute Straße führt in wenigen Minuten mit ganz mäßigem Höhenunterschied nach der Endstation der elektrischen Bahn. Man ist also zugleich auf dem Land und in der Stadt. Die sonnige, nicht zu hohe Lage ist ein großer Vorzug der Arlinger-Siedlung.”

Die Gartenstadt Arlinger mit ihren zweigeschossigen Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern geht auf die Initiative zweier Wohnungsbaugesellschaften zurück. 1919/20 baute die Gemeinnützige Baugesellschaft Pforzheim-Stadt am Arlingerplatz zehn Häuser mit 21 Wohnungen. Die ersten 12 Häuser mit 13 Wohnungen in drei Gruppen an der Arlingerstraße entstanden 1921/22 für die Bau- und Spargenossenschaft, dem Vorläufer der heutigen Arlinger Baugenossenschaft. Weitere Häuser an der Arlingerstraße folgten. Die Inflation 1922/23 verzögerte jedoch den raschen Fortgang des Siedlungsbaus.

Mitte der 20er Jahre erstellt das Städtische Hochbaumamt für die Bau- und Spargenossenschaft einen Rahmenentwurf der Arlinger-Siedlung. Nebenstraßen der Arlingerstraße wurden angelegt und bebaut.

Mittelpunkt des von der Gemeinnützigen Baugesellschaft Pforzheim-Stadt erbauten Siedlungsteils zwischen Hohloh-, Belchen-, Mahlberg- und Arlingerstraße ist der Arlingerplatz. Zweites Zentrum der Gartenstadt ist der Kniebisplatz, der von der Bau- und Spargenossenschaft angelegt wurde.

Für die stärker traditionsgebundenen Häuser der Gemeinnützigen Baugesellschaft Pforzheim-Stadt wurde als Baumaterial für Keller- und Erdgeschossmauern Buntsandstein verwendet. Die Obergeschosse und Giebelmauern wurden in Fachwerkbauweise mit Holzschalung ausgeführt.

Die Reihenhausgruppen am Kniebisplatz, die von der Bau- und Spargenossenschaft erstellt wurden, zeichnen sich durch einheitliche Gestaltungsmerkmale aus: farbige Putzfronten über Sandsteinsockeln, Steilgiebel sowie rote Ziegeldächer. Besonders auffällig sind die Farbgebungen der Häuser. Die variationsfreudige Farbpalette diente als Schmuck der Gebäude und der Individualisierung der Reihenhausgruppen. Bunte Klappläden bildeten weitere Farbakzente.

Je nach Bauphase fielen die Gebäude unterschiedlich aus, während innerhalb der einzelnen Abschnitte bauliche Homogenität feststellbar ist. Im Siedlungsteil der Gemeinnützigen Baugesellschaft Pforzheim-Stadt wurde durch die Verwendung gleichartiger, regionaltypischer Materialien ein einheitliches Erscheingunsbild im Heimaltstil geschaffen. Die Häuser der Bau- und Spargenossenschaft rund um den Kniebisplatz werden durch zeittypische Stildetails des Expressionismus wie Dreiecksgiebel und farbiger Putz geprägt und kennzeichnen somit die spätere Entstehungszeit.

Etwa ein Viertel der Wohnungen in der Gartenstadt Arlinger ging in den 20er Jahren in den Besitz der Bewohner über, in der Regel nach den Bestimmungen des Reichsheimstättengesetzes.

Die Buckenbergsiedlung

„Von den nördlichen Stadtvierteln aus gesehen, erscheint die Buckenbergsiedlung schon wie ein kleines Dorf für sich. Auf prächtiger, sanft nach Norden abfallender Höhe nahe dem Hagenschießwald gelegen, macht sie, durch Architektenkunst der Landschaft angepaßt und vielgestaltet, einen recht malerischen Eindruck. Der Anblick von ferne reizt zu einem Besuch und nährere Prüfung dessen, was da oben zur Abhilfe der Wohnungsnot und zur Befriedigung des idealen Dranges nach dem Wohnen in der freien Natur praktisch geleistet worden ist. Die Entfernung der Siedlung von der Stadt ist nicht allzu groß. Die nächsten Häuser sind von dem Stadtinnern aus in etwa 20 Minuten zu erreichen“, heißt es in einer zeitgenössische Beschreibung während der Entstehung der Siedlung.

Die Buckenbergsiedlung zwischen Wurmbergerstraße, Birken-, Buchen- und Strietweg mit ihren „Kleinwohnungsbauten“ wurde von der Stadt Pforzheim und der Gemeinnützigen Baugesellschaft Pforzheim-Stadt errichtet. Die Planung der Siedlung geht auf das städtische Hochbauamt zurück.

Die Stadt baute zwischen der Wurmbergerstraße und dem Strietweg in kurzer Zeit 60 Einfamilienhäuser mit Gärten, von denen die ersten zum Jahresende 1919 fertiggestellt waren. Die Häuser ordneten sich in zweier, dreier und fünfer Gruppen an. Im Dezember 1919 beschloss der Bürgerausschuss den Bau von weiteren 22 Zweifamilienhäusern mit 2 bzw. 3-Zimmerwohnungen an der Wurmbergerstraße. 1922 kam eine Baugruppe mit 15 Wohnungen hinzu. Die Häuser wurden in Fachwerkbauweise erstellt und verschindelt. Die Sockelmauern wurden aus Bruchsteinen hergestellt, das aus einem Steinbruch in unmittelbarer Nähe kam. Jedem Einfamilienhaus war ein kleiner Garten zugeteilt. In einem Stall konnten Kleintiere gehalten werden.

Die Stadt stellte der Gemeinnützigen Baugesellschaft Pforzheim-Stadt das im Anschluss an die städtische Siedlung am Strietweg liegende Arreal – nördliche vom Buchenweg – für 2 Mark pro qm zur Verfügung. An dem mit Bäumen bepflanzten Ulmenplatz errichtete die Gemeinnützige Baugesellschaft ein Häuser-Ensemble mit zehn Einfamilienhäusern, die zum Teil als Reichsheimstätten ausgegeben wurden. Die Gebäude gruppierten sich um diesen so genannten Wohnhof als Einzel- und Doppelhäuser sowie in dreifacher Reihung. Über die Gestaltung und Ausstattung dieser 10 Häuser heißt es 1929 in der Jubiläumsschrift der Gemeinnützigen Baugesellschaft: „Sie wurden mit Rücksicht auf den nahegelegenen Wald in der guten, altbewährten schwarzwälder Bauweise errichtet und zwar in Fachwerk mit Schindelung. Für das Keller- und Sockelmauerwerk kam roter Sandstein, welcher in nächster Nähe gebrochen wurde, zur Verwendung. Die Siedlung hebt sich mit ihren frischen Farben, gelber Schindelung, grünen Klappläden und roten Biberschwanzdächern wirkungsvoll von dem dunklen Grün des dahinterliegenden Waldes ab.“

Die Wartbergsiedlung

In einer zeitgenössischen Äußerung heißt es über die Siedlung: „Die Siedlung ist an hervorragender Stelle errichtet und übt eine beherrschende Wirkung auf das Stadtbild aus. Die Lage ist am sonnigen, nach Süden geneigtem Hang mit herrlichem Rundblick über Pforzheim und Umgebung.“

Die Wartbergsiedlung zeichnet sich durch eine hohe ästhetische Geschlossenheit aus, die durch die Verwendung gleicher und hauptsächlich einheimischer Baumaterialien geprägt ist. Der Siedlung lag ein Rahmenentwurf zu Grunde, der 1919 von Friedrich Wilhelm Jochem, Architekt und Direktor der Pforzheimer Kunstgewerbeschule, und dem Ingenieur Ludwig Seibel vom städtischen Tiefbauamt entworfen wurde. Bauträger war die Gemeinnützige Baugesellschaft Pforzheim-Stadt. Die offene Bebauung des Geländes mit Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern sollte ein Optimum an Licht-, Luft – und Sonnenzufuhr, sowie einen ungestörten Talblick ermöglichen. Großzügige Gartenanlagen betonten den ländlichen Charakter der Siedlung.

Die Häuser wurden in regionaltypischen Materialien ausgeführt. Für Keller- und Umfassungsmauern verwendete man den aus den Steinbrüchen des Wartbergs gewonnen Kalkstein. Giebelmauern entstanden in Fachwerk mit Holzschalung oder Schindelung. „Das Holzwerk und die Putzflächen haben farbigen, oft recht lebhaften Anstrich erhalten, so daß mit dem Grau des Kalksteingemäuers, dem Rot der Dächer und dem Grün der Bepflanzung frische, das Auge erfreuende Bilder entstehen“, heißt es in der Festschrift der Gemeinnützigen Baugesellschaft 1929.

Die Siedlungshäuser wurden zwischen 1920 und 1929 in mehreren Teilabschnitten erbaut. Ab 1920 entstanden für Reichsbahn- und Reichspostbeamte Häuser an der Gerwigstraße sowie ein Mehrfamilienhaus mit Mietwohnungen an der Schauinslandstraße.

Friedrich Wilhelm Jochem entwarf für die Siedlung rund 20 verschiedene Haustypen, die für ein abwechslungsreiches Gesamtbild sorgen. Alternierende Haustypen wurden zu Gruppen zusammengefasst und schaffen ein vielseitiges Straßenbild.

Alle Wohnungen waren mit Gas, Wasser und Strom ausgestattet. Die Häuser besaßen 3 – 5 Zimmer, Küche, WC, Stall und Nebenräume.

Zum Jahresende 1928 standen 162 Gebäude mit 179 Wohnungen. Durchschnittlich lebten in den 20er Jahren 5 Personen in jeder Wohnung.

Inzwischen hat sich das charakteristische Erscheinungbild der Siedlungen zum Teil sehr stark verändert. Anbauten, Garagen, Eingangvorbauten und Terrassen kamen hinzu, die wenig Rücksicht auf das bestehende Gebäude nahmen. Eternitfassaden, moderne Eingangstüren und Eisenzäune haben die Eigenart der Siedlungen teilweise zerstört. Sprossenfenster wurden größtenteils ersetzt und der Einbau von Rolläden machte Fensterläden überflüssig.

Christina Klittich M.A.
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