Stadt im Bild
Pforzheim auf Stadtansichten des
16. und 17. Jahrhundert
Vortrag
Dr. Stefan Pätzold, Wissenschaftlicher Archivar im Stadtarchiv Pforzheim
anlässlich der 2. Matinee zur Stadtgeschichte am 25.04.2004
Wer die Vergangenheit verstehen will, der muß – sagt man – so lange lesen, bis er die Menschen jener ihn interessierenden Epochen reden hören und das damalige Geschehen vor seinem geistigen Auge sehen kann. Das fällt einem Historiker in der Regel leichter, wenn ihm bei seiner Arbeit zusätzlich zu den Schriftquellen auch Bilder zur Verfügung stehen. Leider ist das keineswegs immer der Fall.
Stadthistoriker hingegen können zumindest dann aufatmen, wenn sie sich mit der frühen Neuzeit beschäftigen: Aus dieser Epoche haben sich nicht selten sogar ganze Reihen von Stadtabbildungen
erhalten. Um sie soll es hier gehen – allerdings mit einigen Einschränkungen: Die folgenden Ausführungen sind allein solchen Stadtdarstellungen gewidmet, die erstens die jeweils abgebildete Stadt in ihrer Gesamtheit (und nicht nur teilweise) zeigen sowie zweitens den Anspruch erkennen lassen, deren
reale Gestalt wiederzugeben. Die frühesten Stadtansichten dieser Art entstanden im deutschen Teil des Römischen Reiches während des 15. Jahrhunderts, vornehmlich jedoch an dessen Ende. Von maßgeblicher Bedeutung waren in diesem Zusammenhang die Aquarelle Albrecht Dürers, unter ihnen besonders die Ansicht der Stadt Innsbruck aus dem Jahr 1494. In erster Linie sind solche Bilder aber Phänome der frühen Neuzeit.
Doch nicht nur sachliche und zeitliche Beschränkungen grenzen die Thematik der anschließenden Untersuchung ein; sie ist auch räumlich limitiert. Denn es werden nur solche Veduten behandelt, die Pforzheim darstellen. Deshalb soll am Anfang kurz auf die Geschichte dieser Stadt eingegangen werden, bevor dann die Pforzheimer Stadtansichten selbst zu beschreiben sind. Kommen wir also zu:
Die Stadt: Pforzheim am Ende des Mittelalters und während der frühen Neuzeit
– ein Überblick
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts hatte Pforzheim – zumindest im Bereich der sogenannten „Neuen Stadt“ – bis zu 1000 Einwohner und gehörte damit nach mittelalterlichen Maßstäben in die Kategorie der „mittleren“ bis „ansehnlichen“ Kleinstädte. Bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges stieg die Bevölkerungszahl an: 1618 brachte es Pforzheim auf insgesamt ungefähr 2500 bis 3000 Einwohner und zählte damit immerhin zu den kleinen Mittelstädten. Obgleich Pforzheim damit sogar die weitaus größte unter den Städten der Markgrafen von Baden war, hatte es innerhalb des genannten Zeitraumes erheblich an wirtschaftlicher Bedeutung eingebüßt. Besonders während des 15. Jahrhunderts verließen zahlreiche Oberschichtfamilien die Stadt, und die Niederlage des Markgrafen bei Seckenheim im Jahr 1462 bedeutete das Aus für viele ehrgeizige Pläne der Stadtherrn, deren Umsetzung die Entwicklung des Ortes gewiß erheblich befördert hätten. „Der Stadt war damit […] in wirtschaftlicher Hinsicht nahezu jede Entwicklungsmöglichkeit genommen. Sie blieb bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts eine vom Kleingewerbe geprägte Landstadt mit nur in administrativer Hinsicht ausgeprägteren zentralörtlichen Funktionen“.
Pforzheim, von 1535 bis 1565 sogar Residenzort der badischen Markgrafen, wurde im 16. und 17. Jahrhundert wiederholt ein Raub der Flammen: zunächst 1549 und dann mehrfach während des Dreißigjährigen Krieges, am schlimmsten in den Jahren 1644 und 1645. Nicht weniger verheerend waren die Verwüstungen des Pfälzischen Krieges, besonders in den Jahren 1689 und 1692. Im erstgenannten Jahr brannte Pforzheim gleich zwei Mal nieder; das Rathaus sank in Schutt und Asche und die Befestigungsanlagen wurden abgetragen. Aber nicht nur deshalb findet man heute nur noch wenige Spuren des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pforzheims. Die furchtbarsten Zerstörungen erlitt die Stadt durch einen schweren Bombenangriff im Februar 1945, der nahezu die gesamte Innenstadt mit ihrer alten Bausubstanz vernichtete. – Schnitt! Ich breche den Überblick hier ab und gehe über zu:
Die Bilder: Pforzheimer Stadtansichten aus der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts
Die älteste bekannte Stadtansicht, die mit Pforzheim in Verbindung gebracht wird, stammt aus der Kosmographie des Baseler Hebraisten und Geographen Sebastian Münster (gest. 1552). Unter einer Kosmographie versteht man eine geographische Schrift wissenschaftlich-didaktischen Charakters, die eine Darstellung der gesamten Erde zum Thema hat. Münsters Werk erschien nach langen Vorarbeiten erstmals im Jahr 1544 und enthielt zahlreiche Abbildungen. Manche der Holzschnitte wurden von bedeutenden Künstlern wie Hans Holbein d.J. und Konrad Schnitt angefertigt. Es ist jedoch nicht bekannt, wer die Pforzheimer Stadtansicht schuf .
Illustration der Kosmographie des Sebastian Münster,
Holzschnitt 1544 (Stadtarchiv Pforzheim)
Der Holzschnitt ist nicht allzu detailliert ausgeführt und beschränkt sich auf eine typisierte Stadtdarstellung, in deren Vordergrund ein Tor, Mauern und ein (mittig plazierter und wohl überdimensionierter) Turm die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das Bild zeigt eine Profilansicht, so daß von der Stadtgestalt hinter den Mauern kaum etwas wahrnehmbar ist. Auffällig ist die Einbettung der Stadt in eine gebirgige Landschaft: Eine mächtige Burg liegt oberhalb der Stadt auf einem Hügel, gegenüber auf der rechten Seite begrenzt ein Steilhang die Sicht. Nun trifft es zwar zu, daß Pforzheim einen Schloßberg aufweist und aufgrund seiner Lage in einem Flußtal in hügeligem Gelände gebaut ist. Aber die Vedute gibt die tatsächlichen Verhältnisse nicht wieder: Das Schloß weist keine Ähnlichkeit mit der Burg des Holzschnittes auf, der Turm ist nicht identifizierbar und die Höhenunterschiede in der Landschaft werden zu stark betont. Der dargestellte Ort ist nicht Pforzheim, die Ansicht nicht wirklichkeitsgetreu, was wohl nicht allein an den eingeschränkten Darstellungsmöglichkeiten eines Holzschnittes liegt.
Da man nicht weiß, wer den Holzschnitt anfertigte, macht es unmöglich, die Entstehung des Bildes nachzuvollziehen. Es ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos, daß Münster selbst, der schon im Kindesalter dem Franziskanerorden beigetreten war und die Jahre von 1511 bis 1514 im Pforzheimer Kloster zugebracht hatte, die Stadt aus eigener Anschauung kannte. Eine zweite Schwierigkeit, die sich bei der Beschäftigung mit der vermeintlich ältesten Stadtansicht Pforzheims ergibt, ist es, eine Antwort auf die Frage nach dem Zweck der Darstellung zu finden. Hierbei sind wohl zwei Ebenen zu trennen: erstens die Funktion von Illustrationen im Kontext der Kosmographie und zweitens die Intentionen, die der Pforzheim zugeschriebenen Ansicht zugrundelagen. Karl Heinz Burmeister beantwortet die erste Frage so: Die Abbildungen sollten die Leser erfreuen und zur fortgesetzten Lektüre des Buches anregen. Einen eigenständigen Informationswert mißt er ihnen nicht zu. Dem Verfertiger des angeblich Pforzheim darstellenden Holzschnittes scheint es ebenfalls nicht um Detailtreue gegangen zu sein; ihm genügte offensichtlich, die typisierte Darstellung einer Stadt am Fuße eines Burgberges herzustellen, um Münsters Text attraktiver zu gestalten.
Auf den Holzschnitt folgte fünfzig Jahre später eine Abbildung ganz anderer Art: Es ist Georg Gadners Karte des Wildbader Forstes von 1594
Ausschnitt aus der Karte des Wildbader Forstes von Georg Gadner,
Zeichnung 1594 (Stadtarchiv Pforzheim)
Georg Gadner (gest. 1605), Doktor beider Rechte, war seit 1555 gelehrter Rat der Herzöge von Württemberg. Als solcher hatte er sich wiederholt mit Grenzstreitigkeiten zu befassen. Zu deren Lösung bediente er sich seinerzeit als einer der ersten kartographischer Darstellungen. Auf Geheiß Herzog Ludwigs beritt Gadner das württembergische Territorium und legte seine Beobachtungen in einem „Chorographia“ genannten topographischen Kartenwerk nieder. Abgeleitet von „chóra“, dem griechischen Wort für „Land“ oder „Landschaft“, bezeichnet „Chorographia“ allgemein eine Beschreibung von Erscheinungsformen der Erdoberfläche. Gadners „Chorographia“ hingegen ist, wie ihr Untertitel besagt, eine „Beschreybung des löblichen Fürstentums Wirtenberg“ geordnet nach dessen Forstbezirken. Den Wildbader Forst, dargestellt auf Blatt 8 verso des Kartenwerkes, bearbeitete Gadner 1594. Er zeichnete die insgesamt 21 Karten des repräsentativ gestalteten Atlasses eigenhändig. Das badische Pforzheim gehörte zwar nicht zu Württemberg, lag aber in unmittelbarer Nachbarschaft des Forstes, der im Norden und Osten an die Markgrafschaft Baden grenzt.
Die mehrfarbige Abbildung zeigt die Stadt aus der Vogelschauperspektive und zwar von Süden her gesehen. Die Ansicht ist stilisiert und zeigt – wenig detailliert und auch nicht maßstabsgerecht – vornehmlich die Mauer und die dahinterliegenden Türme. Dennoch erweist sie sich als vergleichsweise wirklichkeitsgetreu. Man erkennt im Vordergrund die Flüsse Nagold und Würm, die sich vereinigen und bald darauf bei der Auer Brücke in die Enz einmünden. Darüber hinaus zeigt sie „links, im Schatten des alles überragenden Turms von St. Michael die Barfüßerkirche, rechts davon das spitze Helmdach des Auer-Tors und die Türme des Predigerklosters, des Spitals und der Altenstätter-Kirche, dicht von der hohen Stadtmauer zusammengehalten […]“. Somit erlaubt die zweite Ansicht Pforzheims zwar schon eine bessere Vorstellung von der Stadtsilhouette, Realismus wird aber nicht erreicht. Das ist allerdings angesichts des Zwecks der Zeichnung, des Maßstabs und der angewendeten Technik auch kaum zu erwarten.
Im Jahr 1643 veröffentlichte der berühmte Frankfurter Kupferstecher und Verleger Matthäus Merian
(geb. 1593 in Basel, gest. 1650 in Langenschwalbach) eine „Topographia Sueviae“ genannte Ortsbeschreibung des Reichskreises Schwaben. Was genau man sich darunter vorzustellen hat, besagt der deutsche Untertitel des Buches: „Beschreib- und aigentliche Abcontrafeiung der fürnembsten Stätt und Plätz in Ober und NiderSchwaben, Hertzogthum Württemberg <und der> Marggraffschafft Baden […]“. Dabei handelte es sich um den zweiten Band der monumentalen „Topographia Germaniae“, einem Kompendium von Städteansichten, das zwischen 1642 und 1656 in insgesamt 17 Bänden erschien. (Übrigens schlug Merian damals auch die Schweiz und andere heute selbständige europäische Staaten Deutschland zu.)
In der schwäbischen Topographie findet man einen Kupferstich, der 21 cm hoch und 33 cm breit ist und „Pfortzheim“ darstellt. Wann und wie die Abbildung entstand, ist unklar. Merian hat, soviel weiß man, einige Städte selbst aufgenommen, weitere Ansichten – wohl der weitaus größere Teil – entstanden nach Vorlagen anderer Künstler. Will man annehmen, Merian habe den Pforzheimer Stich nach eigener Anschauung gestaltet, dann kann dies aller Wahrscheinlichkeit nach nur im Jahr 1616 geschehen sein, als er sich für eine kurze Weile in Stuttgart aufhielt und von dort aus die Umgebung erkundete. Eine damals entstandene Skizze müßte der Künstler dann knapp dreißig Jahre später zu der heute vorliegenden Darstellung ausgearbeitet haben. Ebensowenig glaubhaft läßt sich freilich die Vermutung untermauern, Merian habe nach einer Vorlage gearbeitet. Denn eine solche ist bisher nicht bekannt. Der Ausweg aus dieser Aporie muß noch gefunden werden.
Der berühmte Stich stellt Pforzheim in perspektivischer Ansicht dar
Darstellung Pforzheims in der Topographia Sueviae des Mattias Merian d.Ä.
Kupferstich 1643 (Stadtarchiv Pforzheim)
Er bietet einen Panoramablick von Südwesten über die Stadt. Nach heutigen Begriffen stünde der Betrachter auf der Wilhelmshöhe. Markante Gebäude sind mit Buchstaben gekennzeichnet und werden in einer Legende unterhalb des Bildes genannt. Umgeben von Brötzingen im Westen (links im Bild, Buchstaben A und B) sowie der Auer Vorstadt im Osten (rechts im Bild) mit dem Auer Tor (Buchstabe O), wo sich die Flüsse Enz und Nagold vereinigen, findet sich, nahezu in der Mitte des Stichs, geschützt durch eine Mauer mit Türmen, der Pforzheimer Stadtkern. Man erkennt (in Auswahl von links nach rechts) den Dachreiter des Barfüßer- bzw. Franziskanerklosters (E), den Turm des Schlosses der Markgrafen von Baden (G), den Turm der Schloßkirche St. Michael (H), das Altenstädter Tor (L), das Dominikaner- bzw. Predigerkloster (M), rechts davor das zu Merians Zeit in ein Spital umgewandelte Dominikanerinnenkloster (N) sowie die Altenstädter Kirche St. Martin. Die Stadt ist eingebettet in einen wolkenverhangenen Himmel und eine abwechslungsreich gestaltete Hügellandschaft im Hintergrund. Den Vordergrund bildet die verschattete Anhöhe, auf welcher der Betrachter steht, und das detailliert dargestellte Vorfeld der Stadt: Äcker und Gärten, Mauern und Türme der äußeren Verteidigungsanlagen, Bauern und Spaziergänger, Arbeitstiere und Fuhrwerke beleben die Szene.
Der Stich entstand mittels einer im 17. Jahrhundert neuartigen Radiertechnik, bei der ein Ätzgrund verwendet wurde, der ein weiches und leichtes Radieren und damit hohe Detailgenauigkeit ermöglichte. Merian hatte die Technik – man spricht dabei von der Verwendung des „Meyerschen Ätzgrundes“ – von seinem Zürcher Lehrmeister Dietrich Meyer gelernt. Sie erlaubte ihm das akkurate und scheinbar authentische Festhalten von Einzelheiten des Stadtbildes. Merians Kupferbilder der „Topographia Germaniae“ sind „im allgemeinen ziemlich exakt und gleichmäßig sauber, klar und übersichtlich gezeichnet“.
Gleichwohl sollte man sich von dieser Präzision nicht täuschen lassen: Hat man es doch bei Merians Werken nicht mit Photographien zu tun, sondern den Ergebnissen intentionaler Akte eines in höchstem Maße befähigten Künstlers. Deshalb schreibt Bruno Weber sicher mit Recht: „[…] Tiefenschärfe und Akkuratesse […] gehör<en> zum Naturalismus des Stils und täusch<en> Sachrichtigkeit vor, welche, falls nachprüfbar, nicht immer zutrifft“. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Wolfgang Behringer: „Merians Topographien setzten bei den Städteansichten einen völlig neuen Standard […]. An Exaktheit, ästhetischer Qualität und Rationalität schienen sie im Bereich der Druckgraphik kaum zu übertreffen, wobei freilich die genaue Analyse zeigt, daß die optische Illusion des begnadeten Künstlers nicht selten die genaue Vermessung ersetzte“. Im Fall des Pforzheimer Stichs bewegen sich Merians Abweichungen von der Wirklichkeit im Rahmen des für den Künstler Üblichen: Der abgebildete Turm der Altenstädter Kirche
St. Martin oder die Dachreiter des Prediger- und des Dominikanerinnenklosters sind allzu überhöht dargestellt. Auf die keineswegs zahlreichen Unrichtigkeiten bei der Wiedergabe einiger Pforzheimer Gebäude wird noch zurückzukommen sein.
Dennoch ist der Quellenwert von Merians Pforzheim-Darstellung hoch und das nicht nur im Vergleich mit der formelhaften Illustration in der Kosmographie. Die Stadtansicht trägt individuelle Züge: Alle markanten Gebäude Pforzheims sind vorhanden. Ihre Erschließung durch eine Legende unterstreicht das Bemühen des Kupferstechers um eine wirklichkeitsnahe Darstellung. Auffällig ist freilich das weitgehende Fehlen häßlicher Realitäten, von Dreck und Verfall etwa, Baustellen oder Misthaufen. Merian bereinigt Stadt wie Bild gleichermaßen, er idealisiert. Das ist auch schon anderen Beobachtern aufgefallen, Bruno Weber zum Beispiel der schreibt: „Merian ist mehr gesamtschauender Künstler als minutiös exakter Detailtopograph, sein Abbild mehr Ideal als Realität“. Ihren besonderen Wert erhält die Pforzheimer Ansicht durch den Umstand, daß die Stadt in den beiden folgenden Jahren niedergebrannt wurde und damit ihre Gestalt veränderte. Insofern erfüllte die Abbildung auf geradezu tragische Weise den Zweck, den Merian seinen Stichen in der Topographie zugedacht hatte. Denn in den Vorreden zahlreicher Bände der „Topographia Germaniae“ hatte er immer wieder ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es ihm unter dem Eindruck der Greuel des Dreißigjährigen Krieges darum gegangen sei, den baulichen Zustand der Städte des Reiches vor den Zerstörungen zu dokumentieren.
Dem Merianstich sehr ähnlich sind zwei weitere Stadtansichten. Sie zeigen ebenfalls das noch unzerstörte Pforzheim aus derselben Perspektive. Es handelt sich dabei um eine unter der Signatur J-B Pforzheim 8 im Karlsruher Generallandesarchiv verwahrte Darstellung, deren Verfertiger unbekannt ist
Stadtansicht von Pforzheim
Kupferstich 17. Jh. (Generallandesarchiv Karlsruhe J-B Pforzheim 8)
sowie um eine Vedute mit einer sehr umfangreichen Legende, aus der hervorgeht, das die Abbildung von Jost Dages gezeichnet und von Stefan Michelspacher gestochen wurde.
Kupferstich von Stefan Michelspacher
(nach einer Zeichnung von Jost Dages), 17.Jh. (Stadtarchiv Pforzheim)
Daß die Darstellungen Pforzheim vor seiner Zerstörung zeigen, ist kein Datierungsmerkmal: Beide können sowohl tatsächlich vor 1644/45 entstanden oder aber in Anlehnung an eine Vorlage – und dann doch sehr wahrscheinlich an Merians Vorbild – danach hergestellt worden sein.
Die in Karlsruhe verwahrte Stadtansicht erweist sich bei näherer Betrachtung in mehr als einer Hinsicht als eine wesentlich gröbere Darstellung als der Merianstich. Ihr fehlt dessen Liebe zum Detail: Bäume und Pflanzen scheinen – wie in einer Skizze – rasch hinzugefügt, nicht aber ausgeführt worden zu sein, gleiches gilt für die Wolken am Himmel. Menschen und Tiere sucht man vergebens; die Bauten sind keineswegs im Wortsinne „gestochen scharf“, eher nur durch ihre Konturen angedeutet. Die Türme sind in noch auffälligerer Weise als beim Stich von 1643 überdimensioniert. Die horizontalen Erstreckungen wirken demgegenüber sonderbar verkürzt, geradezu gestaucht. Legende und Wappen, wie man sie bei Merian findet, fehlen. Es ist deshalb durchaus denkbar, diese Ansicht trotz ihrer perspektivischen wie inhaltlichen Ähnlichkeit mit dem Merianstich prima facie vor diesen zu datieren. Zwingend ist es freilich nicht. Anders verhält es sich mit dem Stich von Dages und Michelspacher. Bei seiner Betrachtung gewinnt man den Eindruck, sie hätten Merian bis in Detail kopiert – und zwar in Text und Legende. Selbst die Schreibung des Stadtnamens entspricht derjenigen Merians. Boote, Menschen und Tiere, der Fuhrkarren und das Bauholz, alle diese Szenen begegnen dem Betrachter wieder. Das ist wichtig, weil gerade sie im Gegensatz zum Gefüge der Bauten veränderbar wären. So ist es wahrscheinlich, daß Dages und Michelspacher sich Merian zum Vorbild nahmen.
Die Zahl der aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammenden Stadtdarstellungen ist beträchtlich. Zu nennen ist hier neben der in Kupfer gestochenen Stadtansicht auf einer Landkarte in der „Geographica provinciarum Sueviae descriptio“ des Johann [Hans] Georg Bodenehr von 1679 besonders „Das brennende Pforzheim“ aus dem 1691 von Theophil Warmund veröffentlichten Werk „[…] Rhein- und Neckar Pfalz […]“
“Das brennende Pforzheim”
Illustration von Theophil Warmunds “(…) Rhein- und Neckar Pfalz”
Kupferstich 1691 (Stadtarchiv Pforzheim)
Es soll wohl den zweiten Brand des Jahres 1689 zeigen, als die Franzosen die Stadt im Verlauf des Pfälzischen Erbfolgekrieges zum wiederholten Male einnahmen, plünderten und schließlich am 15. August anzündeten. Da die Ansicht aber unverkennbar auf dem Merianstich beruht, bietet sie „für die Topographie der Stadt am Ende des 17. Jahrhunderts keine verwertbaren Erkenntnisse“.
Bereits ein Jahr vor der Publikation der Ansicht des brennenden Pforzheims, also im Juli 1690, entsandte Markgraf Friedrich Magnus den Ingenieurhauptmann und Oberinspektor des badischen Bauwesens Johann Matthäus Faulhaber mit dem Auftrag in die Stadt, die in Pforzheim entstandenen Schäden aufzunehmen. Seinem Bericht fügte Faulhaber einen handgezeichneten Stadtplan bei, den ältesten, soweit bisher bekannt ist. Um eine Stadtansicht aus der Vogelschauperspektive handelt es sich dabei aber nicht. Im 18. Jahrhundert verfertigte man eine große Anzahl von Plänen, darunter als einen der bekanntesten, den „Hörrmann-Plan“, der 1766 von Michael Hörrmann gezeichnet wurde. Hinzu kamen schließlich mehrere Katasterpläne. Ansichten aus jener Zeit, welche die gesamte Stadt erfaßten, findet man hingegen nicht mehr. Erst im 19. Jahrhundert begegnen wieder Gesamtansichten, bei denen es sich dann aber um Lithographien handelt. Es fällt auf, daß viele dieser Ansichten nach dem Vorbild des Merianstiches von 1643 gestaltet wurden. Der voranstehende Überblick erfordert nun eine Auswertung. Das will ich nun im dritten und letzten Abschnitt versuchen.
Ergebnisse
Zunächst ist hier der Wandel der Stadtdarstellung zu berücksichtigen. Pforzheim wurde im 16. und 17. Jahrhundert durch einen typisierenden Holzschnitt (Münster 1544), eine mehrfarbige Zeichnung (Gadner 1594) und in mehreren Kupferstichen (Merian 1643 u. a.) abgebildet. Den Materialien und Techniken entsprechend erweisen sich die Darstellungen von Holzschnitt und Zeichnung, die Pforzheim im Profil und aus der Vogelschauperspektive zeigen, als vergleichsweise ungenau, die Kupferstiche hingegen, allesamt Profilansichten, als genauer und wesentlich detailreicher. Weitere Veduten des 17. Jahrhunderts orientieren sich in Technik und Perspektive am Merianstich. Im 18. Jahrhundert bevorzugte man andere Darstellungsschwerpunkte: Nicht mehr die Stadt als Ganzes, sondern Teilansichten und Pläne bestimmen die Überlieferung.
Neben dem Wandel der Darstellung sind die Veränderungen in der Stadtgestalt zu berücksichtigen. Hier erlaubt das vorliegende Bildmaterial – leider – kaum substantielle Feststellungen. Über das Aussehen Pforzheims im 16. Jahrhundert lassen die beiden vorhandenen Veduten von Münster und Gadner aus den schon genannten Gründen kaum Aufschluß zu. Und auch für das 17. Jahrhundert ist die Situation keineswegs günstig. Zwar verfügt man über den Merianstich; da aber die anderen Stiche jener Zeit der Darstellung Merians so ähnlich sind, fehlt es an aussagekräftigem Vergleichsmaterial, um den Wandel der Stadtgestalt während dieser zerstörungsreichen Epoche nachvollziehen zu können.
Für einen Vergleich bieten sich nur die Darstellungen Gadners von 1594 und Merians von 1643 an. Auch hier muß das Ergebnis mager ausfallen. Denn Gadners Zeichnung erfaßt ja im wesentlichen bloß eine stark vereinfachte Stadtsilhouette mit Mauern und Türmen. Man erkennt die Türme des Franziskanerklosters, der Schloßkirche St. Michael, des Auer Tores, des Dominikanerklosters und der Altstadtkirche. Gadner zufolge besaß das Franziskanerkloster einen Turm mit einer spitzen Haube; der Merianstich zeigt hingegen einen Reiter auf dem Langhausdach. Nach allem, was man weiß, ist wohl Merians Dachreiter der Vorzug zu geben, selbst wenn dieser – und das ist ein wichtiges Detail – auf dem Chordach angebracht war. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß zwischen dem Ende des 16. und der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Turm mit Dachhaube durch einen Dachreiter ersetzt wurde. Auch hinsichtlich des Turmes der Schloßkirche St. Michael ist Merians Darstellung realitätsnäher. Während die Gadnersche Ansicht eine spitz zulaufende Haube zeigt, auf der sich eine Kugel befindet, bildet Merian einen hohen Dachreiter „auf dem westlichen Dachfirstrand des Stiftschores“ ab, dessen Unterbau im Dachstuhl zumindest in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts noch vorhanden war. Hinweise auf eine bauliche Veränderung des Turmes in der Zeit zwischen der Entstehung der beiden Stadtansichten gibt es nicht, so daß der gegen Ende des 15. Jahrhunderts errichtete Turm wohl schon zu Gadners Zeiten so ähnlich ausgesehen hat, wie ihn Merian dann später abbildete. In der Darstellung des Auer Tores weichen Gadner und Merian ebenfalls voneinander ab, was nicht nur daran liegt, daß sie es aus unterschiedlichen Blickrichtungen und in abweichender Perspektive betrachten. Obgleich während der in Frage stehenden Zeit keine Veränderungen an dem Bau vorgenommen wurden, sind die Abbildungen einander nicht ähnlich.
Über die Gestalt des Turmes beziehungsweise des Dachreiters der zum Dominikanerkloster gehörenden Stephanskirche läßt sich kaum etwas in Erfahrung bringen: Gadner zeigt einen Turm mit spitz zulaufender Dachhaube, bleibt ansonsten aber ungenau, und „Merians Abbildung von 1643 ist […] nicht als Dokument zu werten, da sie nur einen schematischen Typus gibt […]“. Deshalb muß offen bleiben, ob die Predigerkirche tatsächlich einen „glatten Dachreiter ohne Krabben auf dem Langhaus“ trug, wie Merian zeigt, oder eben nicht. Kaum mehr Klarheit bietet schließlich ein Vergleich der Altenstädter Kirche St. Martin bei Gadner und bei Merian. Ihr Turm, ein „steinerner Vierungs- oder Chorturm, in dessen steinernen zwei Obergeschossen im Norden zwei unregelmäßig verteilte, kleine Fenster mit halbrunden Stützen saßen“, wurde bereits im 12. Jahrhundert errichtet und erfuhr bis 1645 keine nennenswerten Veränderungen. Eine realistische Darstellung dieses Zustandes bieten weder Gadner noch Merian, aber cum grano salis sind sich die von ihnen dargestellten Viereckstürme sogar einigermaßen ähnlich.
Fazit:
Der Vorzug von Gadners Darstellung, etwa im Vergleich zu derjenigen in Münsters Kosmographie, besteht darin, daß man die abgebildeten Gebäude aufgrund ihrer Lage im Stadtganzen identifizieren kann. Wegen des kleinen Maßstabs und der angewendeten Technik sind allerdings kaum genügend verwertbare Details zu entdecken, die eine hinreichende Grundlage für eine Untersuchung des städtischen Gestaltwandels böten. Merians Stich ist hingegen zwar wesentlich detailreicher, aber nicht in allen Einzelheiten so zuverlässig, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Die oben zitierten Warnungen von Bruno Weber und Wolfgang Behringer vor einem allzu großen Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Merians Stadtansichten scheinen auch im Fall der Pforzheimer Vedute berechtigt zu sein. Deshalb läßt sich die bauliche Entwicklung Pforzheims allein auf der Grundlage der erhaltenen Bilder ebensowenig sicher wie anschaulich nachvollziehen. Für den Historiker wirkt sich die Dominanz der merianähnlichen Darstellungen unter den Stadtansichten schließlich sogar höchst nachteilig aus.
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